Hochbetrieb beim VW-Bus-Flüsterer

Hochbetrieb beim VW-Bus-Flüsterer
Patrick Finger in seiner Garage (Bild: Rémy Steiner Photography )

Thun – Camping und das sogenannte «Van-Life» erleben einen Boom. Ein Lied davon singen kann auch Patrick Finger, der in seiner Garage bei Thun alte «VW-Bullis» zu neuem Leben erweckt.

Von Artur K. Vogel, Travelcontent

Camping und seine edlere Version, das «Glamping», sind im Trend. Die Schweizer Campingplätze vermeldeten für 2018 einen Rekord: Insgesamt wurden 3,6 Millionen Übernachtungen verzeichnet, knapp 13 Prozent mehr als im Jahr zuvor. An vorderster Stelle, mit 2,4 Millionen Nächten, sorgten Schweizer Gäste für den Boom. Zu ihnen gehörte auch die sechsköpfige Familie Finger aus Seftigen im Berner Gürbetal: Sie war wie jedes Jahr in ihrem alten Campingbus der Marke VW unterwegs, und Patrick Finger, der 39-jährige Vater, war wie immer erstaunt, welche Emotionen diese Fahrzeuge auslösen: «Die Kinder rennen uns hinterher; ältere Leute erinnern sich an ihre eigenen Ferien im VW Bus; Junge finden ihn cool.» So verwundert es auch nicht, dass das Schweizer Radio SRF, als es sich jüngst mit dem Kult-Camper befasste, zum Schluss kam, dass die sogenannten «Bullis» für viele ein Familienmitglied sind.

Auch bei Familie Finger ist der VW mehr als ein Gefährt für die Flucht aus dem Alltag. Das sieht man sofort, wenn man auf den Hof ihrer Garage vorfährt: In Reih und Glied sind hier etwa zwei Dutzend VW-Busse und Transporter in unterschiedlichem Zustand geparkt und bereit, restauriert zu werden. Andere sind in der Werkstatt aufgebockt, Einzelteile stehen herum; es wird geschweisst und geschraubt und gespritzt. Die Resultate lassen sich sehen: So wird ein makelloser blau-weisser T1, in der Garage Finger aufwändig restauriert und umgebaut, von Swisscom als attraktives Werbegefährt genutzt.

Symbol für den Aufschwung
Die Garage Finger in Seftigen hat sich auf die Reparatur und Restaurierung von VW-Bullis spezialisiert. Offiziell hiess der Transporter übrigens nie «Bulli»; er wurde nur im Volksmund so genannt. Im englischen Sprachraum nannte man den T1 wegen seiner geteilten Frontscheibe «Splittie». Der erste VW-Transporter, gebaut ab 1950, war ein simples Gefährt, praktisch und vergleichsweise billig: Er kostet nach heutiger Kaufkraft umgerechnet rund 16‘500 Franken. Für VW wurde der Transporter zum geschäftlichen Grosserfolg und für die Deutschen zum Symbol des wirtschaftlichen Aufschwungs in der Nachkriegszeit.

Er hatte wie der VW Käfer, dessen Technik er weitgehend übernahm, einen schwachbrüstigen, luftgekühlten Vierzylinder-Boxermotor im Heck. 25 bis 44 PS leistete dieser im ersten Modell, dem T1, gebaut von 1950 bis 1967; 48 bis 70 PS im T2, der in Deutschland bis 1979, in Brasilien aber bis 2013 gefertigt wurde. Gedacht war der Bulli mit seinem relativ grossen Lade- bzw. Fahrgastraum für Handwerker und Einzelhändler, für die Polizei, die Post oder als Kleinbus. Es gab ihn bald als Bus, als Kasten- oder Pritschenwagen, als Ambulanz und in vielen anderen Varianten.

Doch neben seiner kleinbürgerlich-gewerblichen Rolle begann der Bulli schon bald, auch eine andere wichtige Rolle zu spielen. Denn dank seiner simplen Konstruktion konnte man ihn leicht um- und ausbauen, und ausgerüstet mit Schlaf- und Kochgelegenheiten ermöglichte er Fernreisen und den Ausbruch aus dem Alltagstrott. Seit den 1960er-Jahren diente der Bulli, womöglich mit Blümchen verziert, Hippies und anderen nach Freiheit Dürstenden als ideales, günstiges und doch geräumiges Transportmittel Richtung Fernost, Afrika oder durch die Weiten Nord- und Südamerikas. Sogar ein Picknick am nächsten Seeufer roch nach Freiheit und Abenteuer, wenn der VW-Bus dabei war.

Gefragte Oldtimer
Vor allem der T1 und der T2 sind heute gefragte Oldtimer. Das schlägt sich in den Preisen nieder: Gut erhaltene T1 mit der geteilten Frontscheibe sind bei autoscout24.ch ab 33‘500 Franken zu haben, allerdings nur als Transporter und mit zusätzlichen Restaurationsbedarf. Gut erhaltene Busse werden ab etwa 50‘000 angeboten, Camper von Westfalia ab 56‘000, und ein «Samba», das Luxusmodell mit zweifarbiger Lackierung und insgesamt 23 Fenstern, soll stolze 149‘000 Franken kosten. Für dieses Geld gäbe es auch einen wenig gebrauchten Ferrari, Bentley oder Porsche. Günstiger sind die T2 mit der gewölbten, einteiligen Frontscheibe. Sie sind in fahrtauglichem Zustand ab etwa 20‘000 Franken zu haben. Gemäss Patrick Finger ist aber hinsichtlich Anschaffung Vorsicht geboten: häufig wird erst nach eingehender Prüfung durch einen Profi ersichtlich, wie der Zustand des Fahrzeugs wirklich ist. Oft sind grössere Zusatzinvestitionen nötig.

Patrick Fingers Enthusiasmus für das kultige Auto entstand eher zufällig: Während seiner Lehre als Fahrzeugelektroniker kaufte er den ersten VW Bus und machte ihn «nadisna zwäg», um ihn schliesslich weiterzuverkaufen. Darauf folgte der zweite, und irgendwann begann sich ein Geschäft zu entwickeln. Im August 2001, mit gerade 21 Jahren, gründete er eine Einzelfirma; drei Jahre später stiessen erste Aushilfen dazu. Heute arbeiten, der Patron mitgerechnet, neun Leute, unter ihnen zwei Lernende, Vollzeit in der Garage, die seit Januar 2013 eine Aktiengesellschaft ist und sich Garage Finger.ch AG nennt. Gattin Linda erledigt, neben der Familienarbeit, Buchhaltung und Büro.

Selbst Kunden aus dem Ausland
Patrick Finger ist längst selber zum Van-Fan geworden, und seine «Regel Nummer eins» lautet: «Wir machen aus jedem Bus das Beste». Die simple, aber effektive Philosophie führt dazu, dass der Stamm der Kunden laufend zunimmt, und das allein durch Mundpropaganda und den Internet-Auftritt. Kunden kommen aus der ganzen Schweiz und sogar aus dem Ausland ins grüne Gürbetal. Die Garage Finger führt sämtliche Arbeiten selber durch: Karosserie, Mechanik, Elektrik, Lack. Nur Sattlerarbeiten werden auswärts vergeben.

Was das bedeutet, ist an den diversen Restaurationsobjekten zu sehen, die, teilweise aufgebockt, in der Garage stehen: Oft müssen grosse, verrostete Karosserieteile mittels Schweissbrenner herausgetrennt und durch neue ersetzt werden; manchmal möchten Besitzer, dass Scheibenbremsen anstelle der originalen Bremstrommeln eingebaut werden; Motoren werden ausgetauscht oder revidiert, Karosserien neu lackiert. Da wird auch rasch klar, wieso gut erhaltene Exemplare nicht billig sind: Für die Totalrestaurierung eines VW Busses aus den 1960er- oder 1970er-Jahren können sich durchaus 1000 oder mehr Arbeitsstunden zusammenläppern.

Fingers Regel Nummer zwei heisst übrigens: Die Arbeit soll Spass machen. Dieser scheint sich in der Familie vererbt zu haben: Patrick Fingers 16-jährige Tochter Kim absolviert in Vaters Garage die vierjährige Lehre zur Automobil-Mechatronikern. Dass sie sich für Autos begeistert, kommt nicht von ungefähr: «Schon als Baby fuhr ich mit den Eltern im VW Bus in die Ferien», erzählt sie. Die Camping-Ferien im Bus gehören noch heute dazu, wenn auch der Platz wegen der drei jüngeren Brüder und dem Hund nicht mehr ausreicht: «Ich schlafe jetzt im Zelt.»

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