Leonhard Fischer: «Ich fühle mich jedenfalls nicht unsicher»


Vor zwei Jahren trat der einstige Investment-Banker Leonhard Fischer an der Spitze der Winterthur Gruppe ein schwieriges Erbe an. Er hat die Tochter der Credit Suisse in die Gewinnzone zurückgeführt und strebt nun über einen Börsengang die Unabhängigkeit an.


Winterthur CEO Leonhard Fischer.
Moneycab: Sie stehen an der Spitze eines der grössten Versicherer Europas. Wie sicher fühlen Sie sich?

Leonhard Fischer: Ich fühle mich jedenfalls nicht unsicher. Ich denke ehrlich gesagt gar nicht so viel über den abstrakten Begriff Sicherheit nach.

Dass ein Arbeitsplatz nicht sicher ist, haben Sie schon am eigenen Leib erfahren, als Sie Ihren Platz in der Geschäftsleitung der Allianz Gruppe räumen mussten.

Was heisst schon sicher. Die Welt verändert sich heute so rasant schnell, dass man flexibel sein muss. Das verringert die Sicherheit im Sinne von Planungssicherheit. Das macht das Leben aber nicht zwingend unsicherer.

Ersetzen Sie damit nicht einfach das negative behaftete Wort «unsicher» mit dem eher positiven «flexibel»?

Ich spreche noch lieber von Opportunitäten und Chancen. Optimistisch gesehen beinhalten Veränderungen immer Chancen. Natürlich gibt es auch Unsicherheiten bezogen auf Krankheiten und Unfälle – also Bedrohungen unserer körperlichen Unversehrtheit. Diese Risiken gehören zum Preis des Geborenwerdens. Das trägt man mit sich rum, bis es dann vorbei ist. Solche Dinge belasten mich auch.

Sie sind ein politisch interessierter Deutscher, der nun schon zwei Jahre in der Schweiz lebt. Wo sehen Sie als Fremdarbeiter..

Fremdarbeiter ist auch wieder so ein amüsanter Begriff. In Deutschland sprechen wir von Gastarbeiter.

Wo sieht also der Gastarbeiter Fischer die grössten Herausforderungen für die Schweiz?

Ihre Rolle im immer enger zusammen zusammenwachsenden Europa und der eng vernetzten Welt zu finden. Das ist sicher aus ökonomischer Sicht die grösste Herausforderung.

Die Schweizer gelten als risikoscheu und tendenziell überversichert. Sehen Sie das auch so?

Wer sagt denn, dass die Schweizer risikoscheu seien? Und als Versicherer vertrete ich die Meinung, dass man sowieso nicht überversichert sein kann.

Und wie beurteilen Sie das aus der Sicht des Versicherten?

Vernünftig versichert zu sein, hat nichts mit risikoscheu zu tun. Das ist gerade das Wesen des Risikos. Die Schweizer gehen Risiken ein, die sie glauben, selber beherrschen zu können. Dagegen geben sie Risiken, die sie weniger gut kontrollieren können, lieber weg. Welchen Nutzen haben sie davon, wenn sie Risi­ken wie das Abbrennen des eigenen Hauses oder einen Unfall mit dem Auto auf sich nehmen? Entsprechend glaube ich nicht, dass die Schweizer speziell risikoscheu wären. Ansonsten hätten sie nie den wirtschaftlichen Erfolg erzielt, den sie haben. Vielmehr schätze ich sie als gute Kaufleute ein, die genau wissen, welche Risiken sie eingehen wollen und welche nicht. Sich Risiken als solches auszusetzen finde ich nicht zwingend eine gute Eigenschaft. Die Kunst ist abzuschätzen, welche Risiken einem etwas bringen können und welche nicht.

Bleiben wir beim Risiko und der Tendenz der Versicherungen, dieses aufgrund von individuellen Lebensumständen zu differenzieren und in die Bestimmung der Prämienhöhe einfliessen zu lassen. Widerspricht das nicht ganz fundamental dem ursprünglichen Solidaritätsprinzip des Versicherungswesens?

Nicht unbedingt. Ansonsten hätten wir heute schon alle ein mathematisch bis ins letzte Detail durchgerechnetes Risikoprofil. So weit wird das nicht gehen. Andererseits wollen die Menschen je nachdem, wie stark sie sich einem Risiko aussetzen, für den Transfer desselben einen unterschiedlichen Preis zahlen. Warum soll jemand, der sehr vorsichtig fährt, für die Risiken der Raser zahlen? Oder noch besser, drehen wir den Ansatz einmal um: Wenn Sie einen Risikotransfer ohne den Anreiz schaffen, das Risiko für sich selber zu ver­ringern, dann fördern Sie sozusagen das Trittbrettfahrertum. Von daher ist es im Interesse aller, wenn eine stärkere Risikogruppendifferenzierung stattfindet. Zu diskutieren bleibt, wie weit Sie es treiben wollen.

Die Winterthur wurde in den letzten Monaten – etwas überspitzt formuliert – immer wieder als unverkäufliches Anhängsel der Credit Suisse dargestellt, was der Stimmung innerhalb des Firma sicher nicht zuträglich war. Wie bauen sie das Selbstbewusstsein ihrer Mitarbeiter wieder auf?

Was enorm motiviert, ist der Erfolg. In jedem Quartal, in dem die Winterthur Tritt fasst und profitabler arbeitet, können die Mitarbeiter stolz auf ihr Unternehmen sein. Wir schreiben seit über zwei Jahren operativ schwarze Zahlen und haben somit den Turnaround geschafft. Das ist letztlich das überzeugendste Argument, um das Selbstbewusstsein zu stärken. Die Tatsache, dass wir in der öffentlichen Wahrnehmung gewisser Medien als eine Art Anhängsel der Credit Suisse Gruppe dargestellt worden sind,war für die Mitarbeitenden sicher nicht angenehhm. Doch unsere Teams haben in dieser schwierigen Phase viel Gelassenheit gezeigt – auch ein Zeichen von Selbstbewusstsein. Es wird erkannt, dass die Winterthur enorm an Schlagkraft dazugewonnen haben. Für uns werden die Weichen jetzt neu gestellt.

Und der krönende Abschluss wird der Aktiengang sein?

Das wäre zum Beispiel eine Krönung. Doch vergessen wir nicht: In einem Verbund zu sein, engt zwar bis zu einem gewissen Grad ein, anderseits bietet es aber auch Möglichkeiten. Es gibt einen gewissen Schutz und Stabilität. Auch kann Know-how transferiert werden.Insofern ist die Unabhängigkeit für die Winterthur nicht das einzige, erstrebenswerte Ziel. Doch präsentiert sich die Situation der Gruppe momentan so, dass die Integration von Bank- und Versicherungsgeschäft nicht der strategische Weg der Zukunft sein soll. Daraus resultiert für uns als richtiger Weg konsequenterweise der Schritt in Richtung Unabhängigkeit.



Moneycab Interviews  Leonhard Fischer  
Der heute 42-jährige Leonhard Fischer studierte an der Universität Bielefeld Betriebswirtschaftslehre. 1987 erwarb er ein Master´s Degree of Finance an der University of Georgia. Danach stieg er bei JP Morgan und Dresd­ner Bank schnell die Karriere-Leiter hoch. Mit 37 Jahren war er das jüngste Vorstandsmitglied der deutschen Bankgeschichte. Nach der Über-nahme der Dresdner Bank durch die Allianz wurde er in die Geschäftsleitung des weltweit grössten Versicherers berufen. 2002 verliess er die Allianz AG. Seit Januar 2003 ist er CEO der Winterthur Gruppe.

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