Studie: Wirtschaftskriminalität in der Schweiz floriert

Die häufigste Deliktform ist die Veruntreuung von Geldern, wobei die Investoren die Hauptgeschädigten sind, wie KPMG Schweiz am Montag mitteilte. Die Fälle, welche 2008 vor Schweizer Gerichten verhandelt wurden, widerspiegeln die ganze Bandbreite an möglichen Wirtschaftsdelikten.


Unterschlagene Gelder im Wald vergraben
Für besonderes Aufsehen sorgten beispielsweise der Vizedirektor einer Bank, der einen Teil seiner deliktisch erlangten Gelder in Tupperware-Dosen im Wald vergrub, oder der Arbeitgeber, der (fiktive) Jobs versprach und seinen Angestellten dann die Freizügigkeitskonten leerte. Dazu gesellten sich im Jahre 2008 rund 70 weitere Fälle von Wirtschaftskriminalität, welche vor Schweizer Strafgerichten zur Anklage gebracht wurden. Was sich jedoch nicht eruieren lässt, ist die Anzahl Fälle, die nicht vor Gericht gebracht wurden, wobei es sich dabei um eine grosse Zahl handeln dürfte.


«Besorgniserregende Indikatoren»
Anne van Heerden, Partner und Leiter des Bereichs Forensic, führt dazu aus: «Dies sind besorgniserregende Indikatoren. Betrug kommt in der Schweiz immer häufiger vor, dies zeigt sich auch in unseren aktuellen Mandaten. Wir erwarten, dass sich die vollständigen Auswirkungen der aktuellen Wirtschaftslage erst in einigen Monaten oder Jahren abzeichnen werden. Unternehmen werden in diesen schwierigen Zeiten das Augenmerk tendenziell stärker auf schlanke Strukturen und effiziente Prozesse richten müssen. Wichtig ist dabei, dass der Betrugsprävention eine hohe Priorität beigemessen wird.»


Am meisten Wirtschaftsdelikte im Kanton Zürich 
Knapp 25% (CHF 243 Mio.) der gesamthaft in der Schweiz angefallenen Deliktssumme von CHF 1 Mrd. betrafen Fälle, welche vor Zürcher Gerichten verhandelt wurden. Mehrheitlich ging es dabei um Anlagebetrug oder Veruntreuung. Die Nordwestschweiz sowie die Ostschweiz verzeichneten Anteile an der Deliktssumme von je rund 20% (CHF 214 Mio. resp. CHF 201 Mio.), gefolgt von der Zentralschweiz (CHF 138 Mio.) und dem Tessin (CHF 135 Mio.). Die Fälle, welche vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona verhandelt wurden, wurden gemäss der gewählten Methodologie dem Tessin zugerechnet.


Management im Fokus
Gemessen an der Deliktssumme wurden mehr als die Hälfte der Fälle durch Mitglieder des Managements begangen (28 Fälle mit einer Schadenssumme von CHF 606 Mio.). Die Delinquenz durch Mitarbeitende auf tieferen Stufen betraf lediglich 17 Fälle mit einer Deliktssumme von knapp CHF 20 Mio. Dies zeigt deutlich, dass der Fokus noch verstärkt auf Delikte gerichtet werden muss, die durch das Management begangen worden sind, denn deren Straftaten haben regelmässig deutlich höhere Schadenssummen zur Folge. Die Delikte belegen auch die Wichtigkeit von angemessenen internen Kontrollen. Das Management ist meist aufgrund von Seniorität, Vertrauen und hierarchischer Position eher in der Lage, Systeme und Kontrollen zu umgehen oder zu beeinflussen. Der Umstand, dass Betrugshandlungen, die durch das Management begangen worden sind, eine dominierende Rolle einnehmen, weist zudem darauf hin, dass einige Unternehmungen noch nicht geeignete Kontrollen zur Betrugsprävention und -aufdeckung implementiert haben. 


Oftmals Dritttäter am Werk
Verschiedene weitere Fälle wurden durch Dritttäter wie insbesondere Treuhänder, Notare und Vermögensverwalter begangen, bei welchen ebenfalls das besondere Vertrauensverhältnis zum Geschädigten charakteristisch ist. Die Deliktssumme belief sich hier auf rund CHF 260 Mio. In 10 Fällen von gewerbsmässigem Betrug schliesslich fiel eine Schadenssumme von rund CHF 136 Mio. an.


Investoren als Hauptgeschädigte
Bei mehr als der Hälfte der gesamthaft angefallenen Schadenssumme waren Investoren als Geschädigte betroffen (CHF 535 Mio.), gefolgt von kommerziellen, nicht im Finanzbereich tätigen Gesellschaften (CHF 217 Mio.) und Finanzinstituten (CHF 214 Mio.). Zu den Investoren als Geschädigte zählen gemäss Methodologie insbesondere auch Pensionskassen. Bei der Mehrheit der Fälle, welche 2008 vor Gericht kamen und eine Deliktssumme von CHF 630 Mio. beinhalteten, handelte es sich um Veruntreuungen.


Vielfältige Tatmuster
Die Tatmuster waren vielfältig, so wurde beispielsweise mit gefälschten Rechnungen operiert oder bei Zahlungen an Dritte die eigene Kontonummer anstelle derjenigen des effektiven Zahlungsempfängers eingetragen. Die veruntreuten Gelder wurden für ganz unterschiedliche Zwecke verwendet, so beispielsweise für Schönheitsoperationen, Finanzierungen der Spielsucht, Casino und Internet-Glücksspiele, private Partys, Uhren und Kleider, Haushaltsgeräte, Wohnungen, Autos sowie Luxusferien. Es zeigte sich aber auch, dass deliktische Gelder seriös verwendet wurden, so zum Beispiel als Anlagen für Vorsorgezwecke, Investitionen in Lebensversicherungen oder für die Gewährung eines Hypothekardarlehens für Verwandte und Bekannte.


Bank-Vize versteckt Geld in Tupperware-Dosen
Um Betrug (inkl. Anlagebetrug) und Geldwäscherei handelte es sich in 14 weiteren Fällen, welche einen Schaden von CHF 384 Mio. zur Folge hatten. Die wohl simpelste Art von Geldwäscherei ersann sich dabei ein ehemaliger Vizedirektor einer Bank: Er zweigte von seiner Bank CHF 10 Mio. ab und vergrub einen Teil dieser Gelder in Tupperware-Dosen verpackt im Wald. Nebst den im Wald versteckten Geldern in Millionenhöhe hatte er weitere CHF 0.4 Mio. auf ausländische Bankkonten verschoben. Einmal aus der Haft entlassen, beschaffte er sich diese Mittel wieder, was ihm eine Bestrafung wegen Pfändungsbetrug und Geldwäscherei eintrug.


Freizügigkeitskonten geplündert
Das wohl übelste Tatmuster für einen Betrug stammt von einem 51-jährigen Kaufmann, welcher Jobs versprach und seinen Opfern dann die Freizügigkeitskonten plünderte. Er erreichte dies, indem er sich gegenüber verschiedenen Vorsorgeeinrichtungen als neuer Arbeitgeber ausgab und die Opfer anwies, ihre Pensionskassenguthaben zu transferieren, wozu er ihnen gefälschte Einzahlungsscheine vorlegte. Die Geschädigten glaubten somit, es handle sich um einen regulären Pensionskassenwechsel. In Tat und Wahrheit floss das Geld ? insgesamt rund CHF 1.5 Mio. ? dann aber in die Taschen des Täters. Bei weiteren CHF 0.5 Mio. konnte das Betrugsmanöver noch rechtzeitig durchschaut und die Auszahlung der Gelder verhindert werden. Den Deliktserlös verbrauchte der Täter für private Börsengeschäfte oder zwecks Finanzierung seines aufwendigen Lebensstils.


Präventive Massnahmen nötig
«Diese Zahlen zeigen auf, dass Wirtschaftskriminalität nach wie vor ein ernst zu nehmendes Geschäftsrisiko darstellt und es für Unternehmen auch in schwierigen Zeiten Sinn macht, in die Prävention zu investieren», ist Anne van Heerden überzeugt. «Unternehmen, welche die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt haben und keine entsprechenden Programme und (IT-) Detektionssysteme einsetzen, nehmen eine Bedrohung in Kauf.» (kpmg/mc/ps)

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