Negativzins belastet Werkplatz und Vorsorgesystem

Negativzins belastet Werkplatz und Vorsorgesystem

Lukas Gähwiler, CEO UBS Schweiz. (Foto: UBS)

Zürich / Basel – Seit die Schweizerische Nationalbank (SNB) am 15. Januar 2015 die EURCHF-Untergrenze aufgehoben und den Negativzins weiter gesenkt hat, steht die Zinswelt in der Schweiz Kopf. Das Team um den Chefökonomen von UBS Schweiz hat die möglichen Auswirkungen für verschiedene Zins-Szenarien analysiert. Die Ergebnisse zeigen Belastungen für die Realwirtschaft, beträchtliche Zinsänderungsrisiken und zusätzlichen Konsolidierungsdruck im Bankensektor sowie gravierende Auswirkungen auf das schweizerische Vorsorgesystem.

Mit der Freigabe des Frankenwechselkurses zum Euro hat die SNB ihr Ziel für den Dreimonats-Libor-Zinssatz um weitere 50 Basispunkte auf -0,75% gesenkt. Unmittelbar darauf fiel für Schweizer Staatsanleihen bis zu einer Laufzeit von 16 Jahren praktisch die gesamte Zinskurve deutlich in den negativen Bereich. Die Effekte von Frankenaufwertung und Negativzinsen auf Preisentwicklung und Konjunktur sind komplex und es gibt kaum relevante Präzedenzfälle. „Bisher lag das Augenmerk auf den Konsequenzen, die sich aus der Aufgabe des Mindestkursziels ergeben haben. Die hieraus entstandenen Belastungen für die Exportwirtschaft und den Tourismus sind enorm. Wir müssen uns aber vor Augen halten, dass die Folgen des Negativzinsumfeldes langfristig und gesamtwirtschaftlich mindestens so schwer wiegen oder sogar noch gravierender ausfallen können“, sagt Lukas Gähwiler, Chef UBS Schweiz.

In ihrer jüngsten Studie haben UBS-Ökonomen mit Hilfe eines umfassenden, ökonometrischen Makromodells die Implikationen verschiedener Szenarien für die Entwicklung der Schweizer Volkswirtschaft in den kommenden Jahren untersucht. Sie zeigen die Auswirkungen anhand von drei möglichen künftigen Zins-Szenarien auf. Im Vordergrund stehen makroökonomische Folgen, die Konsequenzen für den Finanzsektor und das Schweizer Vorsorgesystem.

Langanhaltend tiefe Zinsen und steigende Arbeitslosigkeit
Die Analyse dreier verschiedener, globaler Konjunkturszenarien führt zu weiterhin sehr tiefen und zum Teil noch deutlich negativeren Zinsen sowie einem markanten Einbruch des realen BIP-Wachstums unter sein Potenzial von +1,5 Prozent. Selbst in einem mittleren Szenario gehen die UBS-Ökonomen davon aus, dass die kurz- und mittelfristigen Zinsen in der Schweiz bis ins Jahr 2017 hinein im negativen Bereich verharren. Tiefe Zinsen verteuern den Faktor Arbeit relativ zum Faktor Kapital und führen in Kombination mit dem starken Schweizer Franken zu einer Zunahme der Arbeitslosigkeit vor allem bei tieferqualifizierten Arbeitskräften.

Zinsrisiken in Milliardenhöhe im Bankensektor
Für den Bankensektor insgesamt dürften sich die direkten Kosten durch die negativ verzinsten Sichteinlagen bei der SNB bis auf CHF 1 Milliarde belaufen. Sollten sich die Banken auf breiter Basis zur Weitergabe der Negativzinsen an ihre Einlagenkunden gezwungen sehen, könnte dies zu einer deutlichen Zunahme der Bargeldhaltung führen. Die UBS-Ökonomen schätzen zudem die indirekten Belastungen des Negativzinsumfeldes als risikoreich ein. Die extrem tiefen Zinsen führen zu einer Erosion der Zinsmargen, eine der Hauptertragsquellen vieler Banken, und sie erhöhen die Risiken für beträchtliche Verluste bei einem künftigen, starken Zinsanstieg.

Bei einem Zinsschock von ähnlichem Ausmass wie Ende der Achtziger Jahre könnten die Schweizer Banken gemäss UBS-Analyse über die kommenden zehn Jahre kumuliert über CHF 30 Milliarden Zinserträge einbüssen. Auf der Suche nach Rendite könnten zudem Versicherungen verstärkt auf dem Hypothekarmarkt aktiv werden. Insgesamt dürfte das Negativzinsumfeld in Kombination mit dem bereits bestehenden Regulierungsdruck das Konsolidierungstempo im Bankensektor weiter erhöhen.

Vielen Pensionskassen droht Unterdeckung
Im Vorsorgesystem dürften bei anhaltenden Negativzinsen viele Pensionskassen noch stärker in Unterdeckung geraten. Dies auch, weil die Anlagerichtlinien in der zweiten Säule es nur beschränkt erlauben, vermehrt in Anlagen mit höheren Renditechancen zu investieren. Falls tiefe oder gar negative Zinsen länger Bestand haben sollten, könnte es gesetzlich erlaubt werden, dass Pensionskassen die Beitragssätze der Erwerbstätigen erhöhen, um die Finanzierung der versprochenen Renten zu ermöglichen. Dies würde zu einer verstärkten Umverteilung zwischen Erwerbstätigen und Rentnern führen und zudem die Unternehmen durch höhere Personalkosten belasten.

Eine massvolle Reduktion des gesetzlichen Umwandlungssatzes erscheint vor diesem Hintergrund dringlicher denn je. In der 1. Säule bedeutet eine tiefere Verzinsung eine starke Ausweitung der AHV-Finanzierungslücke, die schon vor Einführung der Negativzinsen bei über CHF 1000 Milliarden lag. In einem Szenario mit niedrigen Zinsen und schwachen Aktienmärkten könnte der AHV-Ausgleichsfonds gemäss Berechnungen der UBS-Ökonomen schon 2024 aufgebraucht zu sein. Hingegen zeichnet sich für ein Szenario mit höheren Zinsen und einer positiven Aktienmarktentwicklung ab, dass der AHV-Ausgleichsfonds noch bis 2028 ausreichen könnte, um die Ausgabenüberschüsse in der ersten Säule zu finanzieren.

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