Meret Schneider: Plädoyer für einen entspannten Weltvegantag

Meret Schneider: Plädoyer für einen entspannten Weltvegantag
Meret Schneider, Nationalrätin von 2019 bis 2023, Grüne Schweiz. (Bild: parlament.ch)

Es ist so sicher wie die alljährliche Empörung über Weihnachtskugeln im Oktober: der Weltvegantag am 1. November steht an und die Wogen der kollektiven Emotionen und kulturkämpferischen Auseinandersetzungen gehen hoch. Wird man auf der einen Seite bombardiert von Aktionen in den orangen Detailhändlern, die einem vegane Hühnerschenkel unterjubeln wollen, so greifen auf der anderen Seite die nicht minder engagierten Fleischlobbyisten zum rhetorischen Zweihänder, indem sie sich in Leserbriefen und Kommentarspalten über Bevormundung und Vegan-Zwang auslassen, ohne jeglichen Bezug zur Realität.

Als Person, die sich grossteils vegan ernährt, zuweilen aber auch einen Bergkäse auf der Alp nicht verschmäht, beobachte ich das Geschehen und den offensichtlich absurden Sturm im Wasserglas jedes Jahr mit einer gewissen Belustigung, nicht ohne mich zu fragen, ob wir denn tatsächlich nie dazulernen.

Der Weltvegantag hat schliesslich nicht zum Ziel, sämtliche Menschen zum lupenreinen Veganismus zu bekehren und auch die obligatorischen Feuilleton-Artikel, die das suggerieren und fragen, ob Veganismus denn nun gesünder sei oder nicht, ändern an diesem Fakt nichts. An diesem Tag geht es darum, die Vielfalt der Pflanzenküche aufzuzeigen – mit Freude, Genuss und ohne Verbote. Die Tatsache, dass wir uns künftig stärker pflanzenbasiert ernähren müssen, ist rein aus Ressourcengründen unumstösslich und auch die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung konstatiert, dass wir heute 3 mal so viel Fleisch essen wie aus rein gesundheitlichen Gründen vertretbar wäre. Grund genug, die Freude an Gemüse, Früchten und alten Getreide- und Hülsenfrüchten zu entdecken, ohne im gleichen Atemzug ein Bratwurst-Verbot aussprechen zu wollen.

Genau dazu bietet der Weltvegantag die ideale Gelegenheit und im Zuge dessen möchte ich ein Lob an die Gastronomie und Hotellerie aussprechen: Anders als in der Politik, wo man sich sogleich in Grabenkämpfen verliert, gehen Gastronomen einfach mit gutem Beispiel voran, indem sie neben anderen Angeboten ein explizit pflanzliches Menu anbieten und ihren ansonsten omnivoren Gästen schmackhaft machen. Exemplarisch dafür steht für mich Tim Raue, ein deutscher Stargastronom, merhfach besternt und in der Liste der World’s 50 best Restaurants vertreten. Er steht für eine sehr genussorientierte, asiatisch angehauchte Küche ohne jeden Bezug zu ökologischen Grundsätzen.

So importiert er seine Produkte aus der ganzen Welt und ein Menu bei ihm schlägt vermutlich bezüglich CO2-Fussabdruck meinen gesamten Monats-CO2-Verbrauch um Längen. Brutal regional, Kräuter sammeln in der Umgebung und alles, was im Zuge der nachhaltigkeitsorientierten Küche Einzug in die Gastronomie gehalten hat, ist ihm fern und seine pointierten Äusserungen in einschlägigen Gastromagazinen und -formaten dazu sind legendär. So hat er sich auch noch vor wenigen Jahren gegen Bratwürste aus Pflanzenprodukten ausgesprochen und obwohl seine Werthaltung der meinen in vielem zuwiderläuft, lese ich seine Bücher und hege eine grosse Faszination für ihn als genialen Koch und kreativen Kopf.

Umso mehr hat es mich gefreut zu entdecken, dass er seit jüngster Zeit Testimonial für die Schweizer Planted Produkte aus Kemptthal ist. Dabei handelt es sich um Alternativen zu Hühnergeschnetzeltem oder auch Filets aus Erbsen, die ganz ohne Zusatz- und Konservierungsstoffe auskommen und sowohl in Geschmack als auch Konsistenz überzeugen – eine Besichtigung, die ich in der Produktion in Kemptthal vornehmen durfte, hat mich diesbezüglich nachhaltig beeindruckt. Tim Raue hat nun – und dies nicht nur zum Weltvegantag – eben diese Produkte in sein Menu eingebaut und steht dafür mit seinem Namen.

Zwar verarbeitet er in seinem Restaurant genauso Tierprodukte, doch gibt es nun auch ein pflanzliches Genussmenu für alle, die sich der pflanzlichen Ernährung aus rein kulinarischen Gründen nähren wollen – denn dass dies bei ihm nichts mit Körnerpicken und moralischer Überlegenheit zu tun hat, ist angesichts seiner Person klar. Und genau wie bei Tim Raue beobachte ich dies zunehmend in Schweizer Gaststätten, Restaurants und Bistros: Wer eine Bratwurst will, kriegt sie. Aber wer sich an die pflanzenbasierte Küche herantasten möchte, findet auch hier schmackhafte Menus jenseits der obligatorischen Spaghetti Napoli, bei denen man die Freude und Kreativität der Köchinnen und Köche an Neuentdeckungen spürt. Ohne Zwang und Moralkeule, dafür mit viel Genuss.

Denn was ich am Weltvegantag allen in Erinnerung rufen möchte, die dafür oder dagegen ihre radikalen Parolen schwingen, ist: Die Welt wird nicht verbessert durch 10% der Menschen, die ihr Verhalten zu 90% ändern, sondern durch die 90%, die ihr Verhalten zu 10% ändern. Erreichen wir die 90%. Nehmen wir sie mit auf dem Weg in Richtung einer genuss- und freudvollen Ernährung und Landwirtschaft, die unsere Ressourcen schont und unseren Planeten langfristig bewohnbar erhält. Dazu gehören viele spannende, zu entdeckende Getreide- und Hülsenfrüchte – und meinetwegen auch ab und zu ein Cervelat – woraus auch immer er dann bestehen möge.


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