Stefan Loacker, CEO Helvetia

Stefan Loacker, CEO Helvetia
Stefan Loacker, ehemaliger Helvetia-CEO. (Foto: Helvetia)

Stefan Loacker, CEO Helvetia. (Foto: Helvetia)

Interview Marc Kaufmann / AWP

Die Versicherungsgruppe Helvetia bleibt trotz der sich verbessernden Zinssituation im Ausblick vorsichtig und erachtet das Eigenkapitalrenditeziel von 10 bis 12% im heutigen Umfeld weiterhin als schwer erreichbar. CEO Stefan Loacker glaubt aber weiterhin, dass mittelfristig eine Rendite im zweistelligen Prozentbereich erreicht werden kann. In Europa bietet derweil die Nachfrage nach privater Vorsorge für Helvetia Wachstumspotenzial. Wie Loacker im Interview mit AWP versicherte, sei die Bilanz auch mit den italienischen und spanischen Staatsanleihen, die für das Lebengeschäft in diesen Ländern gehalten werden muss, sicher.

AWP: Herr Loacker, die Zinsen haben sich in den vergangenen Monaten von den Tiefstständen leicht abgesetzt, das Marktumfeld für Versicherer hat sich verbessert. Löst diese Entwicklung bei Ihnen Jubelstimmung aus?

Stefan Loacker: Die Entwicklung auf der Zinsseite ist ein erster Schritt aus der Extremzone, mehr nicht. Wir sind immer noch weit weg von langfristig gesunden Verhältnissen. Immerhin haben Versicherungen und Pensionskassen nun die Möglichkeit, die Rentenansprüche besser zu verzinsen.

Unter den tiefen Zinsen hat besonders das Einzellebengeschäft gelitten. Hat das veränderte Zinsniveau bereits positive Folgen gezeigt?

Im Neugeschäft hat sich der Spielraum in der Produktgestaltung vergrössert und wir können Produkte zu besseren Konditionen anbieten. Gleichzeitig werden Nachreservierungen auf bestehenden Verträgen begrenzt. Diese Verträge werden dann zum Problem, wenn die zum Zeitpunkt des Versicherungsabschlusses kalkulierten Zinsannahmen zu hoch angesetzt worden sind.

Wie sieht es diesbezüglich in der Kollektivlebenversicherung aus?

In der beruflichen Vorsorge helfen höhere Zinsen, die Mindestverzinsung zu erreichen und Überschüsse zur Finanzierung des noch immer zu hohen Umwandlungssatzes zu erwirtschaften.

Auf der Anlageseite drücken die steigenden Zinsen auf die Bewertung von Bonds. Wird dieser Effekt für die Helvetia zum Problem?

Dem sehen wir gelassen entgegen, da es sich um temporäre Veränderungen handelt und wir die Anleihen langfristig auf Verfall und fristenkongruent mit unseren Versicherungsverpflichtungen halten. Die Bewertungsunterschiede werden bis zum Ablauf der Papiere ausgemerzt.

Sie haben Anfang September anlässlich der Publikation der Halbjahreszahlen wiederholt betont, dass im aktuellen Zinsumfeld eine Eigenkapitalrendite im hohen einstelligen Prozentbereich realistischer erscheint als das eigentliche mittelfristige Ziel. Gilt das Ziel von 10 bis 12% noch?

Mittelfristig glauben wir an einen Wert im zweistelligen Prozentbereich. Zuletzt haben jedoch die tiefen Zinsen und damit die höheren Bondbewertungen das Eigenkapital aufgebläht und so auf die Rendite gedrückt. Zudem belastete die Zinssituation auch die Gewinnentwicklung und wir mussten das Rendite-Ziel vorübergehend als schwer erreichbar taxieren.

«Unsere Philosophie ist es sowieso, die hohe Bilanzsicherheit in den Vordergrund zu stellen.»
Stefan Loacker, CEO Helvetia

Bei einer sich entspannenden Zinssituation stufen Analysten 12% Rendite als zu wenig ambitiös ein. Was entgegnen Sie diesen Kritikern?

Wenn man heute sieht, dass risikofreie Zinssätze in der Schweiz etwa bei 1% liegen, bieten wir doch einen grossen Risikozuschlag für unsere Aktionäre und das mit einer soliden Kapitalbasis. Daher sehe ich keine Notwendigkeit, eine Rendite von über 12% als Ziel festzulegen. Unsere Philosophie ist es sowieso, die hohe Bilanzsicherheit in den Vordergrund zu stellen.

Gleichzeitig profitieren Helvetia-Aktionäre von hohen Dividenden. Dürfen sie sich erneut auf eine hohe Ausschüttung freuen?

Im laufenden Jahr sind wir operativ gut auf Kurs und somit bin ich zuversichtlich, dass wir erneut eine attraktive Dividende ausschütten können. Für konkrete Aussagen dazu ist es allerdings zu früh.

Wie passen Sie die Produktseite dem Tiefzinsumfeld an?

Im Einzellebengeschäft bieten wir vermehrt moderne Vorsorgelösungen an, die unseren Eigenkapitalbedarf entlasten und unseren Kunden gleichzeitig die Möglichkeit geben, flexibel an der Marktentwicklung zu partizipieren. Konkret sind das fondsgebundene oder Tranchenprodukte. Letztere entstehen aus einer Produktidee, die entweder eine Aktien-, eine Zins- oder eine alternative Komponente wie ein Edelmetall mit sehr guter Bonität zum Thema hat. Wir kaufen die entsprechenden Anlagen, konstruieren eine Lebensversicherungslösung und bieten diese für eine begrenzte Zeit den Kunden an.

«Bis 2015 wollen wir aber mindestens die Hälfte des Neugeschäfts mit modernen Produkten erwirtschaften, damit wir weniger von den Zinsannahmen abhängig sind.»

Spielen traditionelle Lebensversicherungen, etwa das Geschäft mit Einmaleinlagen, in Ihren Plänen keine Rolle mehr?

Wir verkaufen diese Produkte an jene Kunden, die das explizit wünschen. Bis 2015 wollen wir aber mindestens die Hälfte des Neugeschäfts mit modernen Produkten erwirtschaften, damit wir weniger von den Zinsannahmen abhängig sind.

Das BVG-Geschäft war zuletzt ein Wachstumsmarkt. Bleibt das so?

Wir gehen davon aus, dass die Nachfrage nach Garantien und nach Entlastung für KMU anhalten wird. Zuletzt haben wir für das Vollversicherungsmodell nicht nur Unternehmen als Kunden gewonnen, sondern auch Gemeinden oder Spitäler. Sollte das Schule machen, dann wäre da ein grosser Markt zu erschliessen.

Gibt es weitere Wachstumstreiber?

Ein weiterer Faktor sind die Lohnsummen der Schweizer Unternehmen. Solange diese steigen, wächst auch das BVG-Geschäft entsprechend. Hinzu kommen Verbesserungen der Kader-Pläne, Aufstockungen oder Nachkäufe. Auch dieses periodische Geschäft dürfte ein Wachstumsmarkt bleiben.

Blicken wir nach Europa. Gibt es dort in der privaten Vorsorge trotz Euro-Krise Potenzial?

In Europa ist die private Vorsorge ein wichtiges Thema. Die Länder sparen und sitzen gleichzeitig auf nicht gedeckten Pensionsversprechen. Früher oder später werden diese Probleme noch deutlicher sichtbar, und die Folge ist eine Verschiebung von Kapital in die private Vorsorge. Wann und wie schnell das geschieht, wird sich zeigen. Wir sind gut positioniert und werden von der steigenden Nachfrage profitieren.

In Italien und Spanien, wo Helvetia gut vertreten ist, ist die Marktlage besonders schwierig. Was spricht trotzdem für ein Engagement in diesen Märkten?

Langfristig gesehen ist die Versicherungsdurchdringung in Südeuropa tief und das sich bietende Potenzial interessant. Italien ist nach Deutschland der zweitgrösste Lebensversicherungsmarkt in Europa, wir sind dort in den Top 20 und haben starke Vertriebspartner. Allerdings spüren auch wir die Volatilität des Geschäfts. So erreichten wir 2012 rund 500 Mio CHF an Prämieneinnahmen, im laufenden Jahr wird sich das Volumen auf niedrigerem Niveau einpendeln. Mittelfristig sehen wir aber gute Wachstumsperspektiven.

«Langfristig gesehen ist die Versicherungsdurchdringung in Südeuropa tief und das sich bietende Potenzial interessant.»

Wie sieht es in Spanien aus?

In Spanien sind wir im ersten Halbjahr 2013 in der Lebensversicherung – wenn auch moderat – gewachsen. Dies, obwohl die Leute dort dringendere Sorgen haben, als ihre Vorsorge zu finanzieren. Unsere Produkte werden gut aufgenommen, und der Vertrauensbonus in eine Schweizer Firma wie Helvetia ist gross.

Das Geschäft mit Lebensversicherungen in diesen Ländern ist aber auch mit Risiken verbunden, nur schon weil man es mit den jeweiligen Staatsanleihen unterlegen muss. Gefährdet das die Bilanz?

Natürlich diversifizieren wir die Anlagen, wobei Markttests ergeben haben, dass unsere Bilanz sicher ist. Die italienischen und spanischen Staatsanleihen machen zum Halbjahr 2013 nur etwa 3,5% des Anlagevolumens von rund 39 Mrd CHF aus. Wir halten nur so viel, wie für das lokale Geschäft notwendig ist. Der Löwenanteil ist in Staatsanleihen der Schweiz, Österreich und Deutschlands investiert. In den Tests hat sich gezeigt, dass die Bewertungsverschlechterungen der südeuropäischen Papiere jeweils durch den Bewertungsanstieg der schweizerischen und deutschen Papiere überkompensiert wurden.

Und wenn ein Land zahlungsunfähig wird?

Wir haben eine Reihe von Szenarien und die entsprechenden Auswirkungen auf die Kapitalanlagen durchgerechnet und sind zum Schluss gekommen, dass keines dieser Szenarien für die Helvetia existenzbedrohend wäre.

Auf der anderen Seite rechnen Ökonomen damit, dass sich die Wirtschaft in diesen Staaten erholen wird. Was würde das für das Nichtlebengeschäft bedeuten?

Volkswirtschaftlich gesehen wächst und schrumpft die Nichtlebenversicherung mit der Entwicklung des BIP, denn es werden Waren, Güter, Häuser oder Autos versichert, deren Verkäufe stark mit der wirtschaftlichen Entwicklung zusammenhängen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass der Nichtleben-Markt in Spanien seit vier Jahren verliert und in Italien etwa die Autoversicherung stark unter der Krise leidet. Sollte sich der Markt erholen, ist aus Erfahrung eine gute Entwicklung auch für uns zu erwarten.

In Frankreich ist Helvetia mit der Transportversicherung in einer Nische tätig. Werden Sie diese über die Grenzen Frankreichs hinaus weiterentwickeln?

Wir sind bereits heute in vielen Ländern in der Transportversicherung gut vertreten – diese war im Jahr 1858 sogar die Gründungssparte der Helvetia. Wir generieren dort bei einem Gesamtvolumen der Gruppe von 7 Mrd CHF Prämieneinnahmen von gut 400 Mio CHF. Neu sind mit der Übernahme der Gan Eurocourtage zum Beispiel Marine-Risiken dazugekommen. Dieses Geschäft wollen wir künftig länderübergreifend ausbauen.

Gibt es andere Nischen, die für die Helvetia interessant sind?

Ja. Zum Beispiel die Rückversicherung, wo wir seit langem erfolgreich tätig sind und ein Volumen von 200 Mio CHF erreichen. Wir werden auch diesen Teil weiter entwickeln.

Werden weitere Nischen, allenfalls über Zukäufe, dazukommen?

An der heutigen Konstellation mit einem starken Heimmarkt, den angrenzenden Ländermärkten sowie den beiden Nischen halten wir fest. Innerhalb dieser Aufstellung werden aber Ergänzungsakquisitionen weiterhin eine Rolle spielen.

Sind weitere Ländermärkte ein Thema? Schliesslich erreicht Helvetia mit dem kürzlich verlängerten Sponsoringvertrag im alpinen und nordischen Skisport auch Skandinavien.

Das Ski-Engagement ist in erster Linie auf die Alpenländer ausgerichtet. Zwar mag es in Norwegen Leute geben, die sich fragen, wer eigentlich Helvetia ist. Aber es ist keine Erweiterung unserer Tätigkeit nach Skandinavien geplant.

Der Gesprächspartner:
Stefan Loacker, 1969

Ausbildung

  • 1989-1994 Universität St.Gallen, Abschluss lic. oec. HSG
  • 1994 Wirtschaftsuniversität Wien, Abschluss Mag. rer. soc. oec.

Berufliche Tätigkeit

  • 2007 CEO der Helvetia Gruppe, St.Gallen
  • 2005 CEO der Helvetia Versicherungen AG, Wien (vormals: ANKER Versicherung)
  • 2002 ANKER Wien, Vorstandsmitglied mit Verantwortung für Finanzen und IT
  • 2001 Mitglied der Direktion
  • 2000 Leiter Unternehmensentwicklung
  • 1997 Eintritt Helvetia Versicherungen, St.Gallen
  • Assistent Stab Geschäftsleitung/Unternehmensentwicklung, Mitglied des Kaders
  • 1994 Rentenanstalt/Swiss Life, Assistent Leiter Geschäftsbereich Unternehmen, dann Mitarbeiter Konzernplanung
  • 1994 Institut für Versicherungswirtschaft der Universität St.Gallen, wissenschaftliche Mitarbeit

Das Unternehmen:
Die Helvetia ist eine qualitätsorientierte Allbranchenversicherung mit über 150 Jahren Erfahrung. Sie zählt zu den führenden Versicherungsunternehmen in der Schweiz. Mehr als 750’000 Kundinnen und Kunden werden von 35 Generalagenturen und rund 2’500 Mitarbeitenden betreut. Ob private oder berufliche Vorsorge, ob Schadenversicherung oder Hypothek: Mit einer umfassenden Produktepalette bietet die Helvetia alles aus einer Hand – für Privatpersonen wie für KMU. Die Helvetia Schweiz ist Teil einer starken Gruppe, die auch in Deutschland, Italien, Spanien, Österreich und Frankreich tätig ist.

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