Thomas Pletscher, Generalsekretär ICC Schweiz: «Die Fälschungsindustrie ist ein Schwarzmarkt, von dem man oft nur die Spitze des Eisbergs sieht»

Thomas Pletscher, Generalsekretär ICC Schweiz: «Die Fälschungsindustrie ist ein Schwarzmarkt, von dem man oft nur die Spitze des Eisbergs sieht»

von Patrick Gunti


Herr Pletscher, zusammen mit dem Eidg. Insitut für Geistiges Eigentum IGE will das Schweizer Komitee der Internationalen Handelskammer ICC verstärkt gegen Fälschungen und Piraterie vorgehen. Wer ist in den verschiedenen Arbeitsgruppen von «Stop Piracy» vertreten?


Stop Piracy ist die Kampagne der Schweizer Plattform gegen Fälschung und Piraterie. Die Arbeitsgruppe der Plattform setzt sich aus Vertretern der Wirtschaft, d.h. von Unternehmen und Branchenverbänden, sowie aus Vertretern der Verwaltung zusammen. Auf der Seite der Privatwirtschaft sind derzeit ca. 40 Unternehmen und Branchenverbände in der Arbeitsgruppe vertreten. Ziel ist es, dass Industrie und Verwaltung möglichst breit und repräsentativ vertreten sind.


Welche Aufgaben nimmt speziell ICC Switzerland innerhalb des Projektes wahr?


ICC Switzerland ist zusammen mit dem Eidg. Institut für Geistiges Eigentum (IGE) Trägerin der Initiative, die als Public-Private-Partnership konzipiert ist. ICC Switzerland stellt dabei die Koordination innerhalb der Privatwirtschaft sicher und betreibt eine Informationsdrehscheibe. Zudem stellt ICC Switzerland die Verbindung zum globalen ICC-Projekt «BASCAP – Business Action Against Counterfeiting And Piracy» sicher.


Welche Ziele verfolgt «Stop Piracy» konkret?


«Stop Piracy» will Fälschung und Piraterie durch Sensibilisierung der Öffentlichkeit und Verstärkung der Kooperation und Koordination zwischen dem privaten und öffentlichen Sektor sowie innerhalb dieser Sektoren wirksam und nachhaltig bekämpfen.



«Das Bewusstsein um die ökonomische Relevanz des geistigen Eigentums gerade für die rohstoffarme Schweiz ist noch zu wenig stark ausgeprägt.» (Thomas Pletscher, Generalsekretär ICC Schweiz)


Welche Massnahmen sollen zum Erfolg führen?


Im Vordergrund stehen Koordination, Information und Schulung. Bei der Koordination geht es um die Abstimmung der verschiedenen Aktivitäten gegen Fälschung und Piraterie zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor sowie innerhalb dieser Sektoren. Zudem betreiben wir eine Informationsplattform, auf welcher sich die von der Problematik Betroffenen austauschen können. Mit Blick auf die Information der Öffentlichkeit führen wir derzeit eine Sensibilisierungskampagne, die Mitte Januar 2007 an einer Medienkonferenz von Bundesrat Blocher vorgestellt wurde. Mögliche Schulungsveranstaltungen zum Thema Fälschung und Piraterie richten sich an Verwaltungsstellen und Unternehmen.


Aktive Zusammenarbeit zwischen privatem und öffentlichem Sektor, Sensibilisierung der Öffentlichkeit – und welche Möglichkeiten bestehen konkret auf gesetzlicher Ebene?


Der Import von Fälschungen zum ausschliesslich persönlichen Privatgebrauch ist heute zwar gesetzlich nicht verboten. Solche Ware soll in Zukunft aber vom Zoll eingezogen werden können – so sieht es die derzeit laufende Gesetzesrevision vor. Darüber hinaus will aber auch das neue Gesetz die privaten Konsumenten nicht kriminalisieren. Die Fairness, die hier zum Tragen kommt, soll allerdings generell gelten. Auch muss das Wissen über die Schäden und die Gefahren von Fälschung und Piraterie gefördert werden. Vor diesem Hintergrund richtet sich die laufende Sensibilisierungskampagne an Wissen und Gewissen. Das Bewusstsein um die ökonomische Relevanz des geistigen Eigentums gerade für die rohstoffarme Schweiz ist noch zu wenig stark ausgeprägt. Informationsbedürfnisse bestehen auch bezüglich Fälschungen, von denen Risiken ausgehen, vor allem bei Arzneimitteln oder Maschinen. Letztlich soll aber auch aufgezeigt werden, dass es schlicht unfair ist, das Geistige Eigentum anderer zu stehlen – auch, wenn von Vielen jeder für sich jeweils nur ein wenig stiehlt.


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Was fällt alles unter den Begriff «Fälschung von Marken»?


Als «Fälschung» werden generell Verletzungen nicht nur von geschützten Marken, sondern auch von Designs, Herkunftsangaben oder Patente bezeichnet, welche darauf abzielen, das Erscheinungsbild des Originalherstellers zu kopieren. Unter «Piraterie» wird das unerlaubte Kopieren von Werken und Leistungen verstanden, die durch ein Urheberrecht oder ein verwandtes Schutzrecht geschützt sind.


Wie lassen sich die finanziellen Folgen von Piraterie und Fälschungen in der Schweiz beziffern?


Es gibt eine Schätzung aus dem Jahr 2005, wonach der Schweizer Wirtschaft durch Fälschung und Piraterie ein jährlicher Schaden von 2 Milliarden Franken entsteht. Generell sind solche Zahlen allerdings mit Vorsicht zu geniessen. Die Fälschungsindustrie ist ein Schwarzmarkt, von dem man oft nur die Spitze des Eisbergs sieht. Die Schäden der Unternehmen sind Folge von direkten Umsatzeinbussen, langfristigen Imageschäden, Markenverwässerung, Haftungsrisiken oder dem Aufwand für Überwachung und Bekämpfung. Aus volkswirtschaftlicher Sicht bringen Fälscher und Raubkopierer die Innovativen um ihren Lohn. Sie reduzieren damit Anreize für Investitionen. Solche lohnen sich nicht, wenn das geistige Ergebnis kreativer Arbeit von Trittbrettfahrern gestohlen wird. Fälschungen und Raubkopien untergraben damit ein gerade für die Schweizer Wirtschaft zentrales Anreizmodell für Investitionen.


Die Problematik ist nicht neu, hat sich in den letzten Jahren aber massiv verschärft. Wo liegen die Gründe?


Von der Globalisierung und der damit einhergehenden Ausweitung des internationalen Handels hat nicht nur die legale Wirtschaft, sondern auch die Fälschungsindustrie profitiert. Zudem hat die schnelle Verbreitung des Internets in den vergangenen Jahren neue Absatzkanäle erschlossen. Es gibt heute beispielsweise sehr professionell gemachte elektronische Läden, über welche gefälschte Schweizer Uhren gekauft werden können.



«Wenn die chinesischen Fälscher damit beginnen, chinesische Produkte zu fälschen, wird in Zukunft wohl auch dort mehr getan werden für die Durchsetzung des Geistigen Eigentums.» (Thomas Pletscher, Generalsekretär ICC)


In Zeiten von Internet, Globalisierung oder Fälschungshochburgen wie China, Indien, Thailand oder Türkei – scheint der «Gegner» nicht übermächtig?


Das Problem kann nicht von heute auf morgen gelöst werden, sondern muss mit einer langfristigen Perspektive angegangen werden. Es ist aber wichtig, dass ein Anfang gemacht wird – so wie wir es mit «Stop Piracy» hier in der Schweiz gemacht haben. Nur wenn wir vor der eigenen Türe gekehrt haben, können wir auch auf diplomatischer Ebene glaubwürdig Druck ausüben. Zudem gibt es in Ländern wie z.B. China und Indien eine immer stärker werdende Industrie, die auf geistigem Eigentum basiert: Man denke nur einmal an Bollywood, diese riesige indische Filmindustrie, die mit einem starken Urheberecht geschützt wird, oder an die grossen Forschungszentren in chinesischen Metropolen wie Shangai, die immer mehr Patente anmelden. Und wenn die chinesischen Fälscher damit beginnen, chinesische Produkte zu fälschen, wird in Zukunft wohl auch dort mehr getan werden für die Durchsetzung des Geistigen Eigentums.


Mit den illegalen Downloads von Songs ist die Musikindustrie eine besonders von Piraterie betroffene Branche. Welche weiteren Branchen trifft Fälschung oder Piraterie besonders hart?


Von Fälschung und Piraterie bleibt keine Branche verschont. Neben dem illegalen Kopieren von Musik, Filmen und Software werden alle möglichen Produkte gefälscht. Das Spektrum beinhaltet beispielsweise Uhren, Medikamente, Zigaretten, Käse, Schokolade, Sackmesser, Maschinen, Ersatzteile und vieles mehr. In China tauchte auch schon eine komplette, gefälschte Rolltreppe auf.


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Wie weit sind Industrie und Handel bei Überlegungen nach Mitteln und Wegen zu einem umfassenden Kopierschutz ihrer Artikel?


Produkte können sowohl mit gesetzlichen als auch mit technischen Mitteln geschützt werden. Allerdings werden auch bereits technische Massnahmen wie zum Beispiel Hologramme gefälscht. Bei der Bekämpfung der Fälschungsindustrie ist es letztlich nicht anders als wie bei anderen Bereichen der organisierten Kriminalität. Entscheidend ist immer, wer die Nase vorn hat: Die Verbrecher oder die Verbrechensbekämpfer.


Die Schweiz hat keine eigentliche Fälschungsindustrie, sondern wird vor allem als Transitland missbraucht. Wie wird dieses Problem im speziellen angegangen?


Im Rahmen der laufenden Patentgesetzrevision werden die Bestimmungen zur Fälschungsbekämpfung ergänzt. Insbesondere wird neu die Durchfuhr von geschützten Waren ausdrücklich verboten. Vor dem Hintergrund der zunehmenden internationalen Dimension von Nachahmung und Piraterie soll damit verhindert werden, dass die Schweiz noch mehr zu einem Transitland für Pirateriegüter wird.



«Entscheidend ist immer, wer die Nase vorn hat: Die Verbrecher oder die Verbrechensbekämpfer.» (Thomas Pletscher)


ICC Switzerland ist Teil der Internationalen Handelskammer in Paris. Wie geht die Weltorganisation mit der Problematik von Fälschung und Piraterie um?


Die Internationale Handelskammer hat im Jahr 2005 das Projekt BASCAP – Business Action Against Counterfeiting And Piracy – gestartet. BASCAP ist die globale und branchenübergreifende Plattform der Privatwirtschaft gegen Fälschung und Piraterie. Sie steht grundsätzlich allen interessierten Unternehmen und Organisationen offen – derzeit sind es über 150 an der Zahl. Ziel von BASCAP ist die Schaffung eines globalen Umfelds, in dem das Geistige Eigentum respektiert wird. Jeder Schritt in Richtung dieses Ziels stärkt Investitionsanreize und fördert damit grenzüberschreitende Investitionen und den internationalen Handel. Die BASCAP-Aktionen umfassen Information, Vernetzung und Pflege von Kontakten zu Behörden und internationalen Organisationen wie der Weltorganisation für Geistiges Eigentum, der Weltzollbehörde, der Interpol, der EU und der OECD. Verstärkt werden die Botschaften von BASCAP durch die Global Leadership Group, einem Zusammenschluss von CEO’s, die das Projekt unterstützen. Prominentestes Schweizer Mitglied dieser Gruppe ist Nestlé-Chef Peter Brabeck.


Herr Pletscher, wir bedanken uns für das Interview.





Zur Person:
Thomas Pletscher (1954) war nach den juristischen Studien an der Universität Zürich in einem Revisionsunternehmen, in einer internationalen Bank, in einer Grosshandelsfirma und in einer Exportförderungs-Institution tätig. Seit 1988 ist er als Mitglied des Ausschusses der Geschäftsleitung von economiesuisse (vormals Schweizerischer Handels- und Industrie-Verein «Vorort»), der Spitzenorganisation der Schweizer Wirtschaft, Leiter des Bereiches Recht und Wettbewerb. Speziell befasst er sich mit allgemeinen Rechtsfragen, Finanzmarktrecht, Unternehmensrecht, Schiedsgerichtsbarkeit, Wirtschaftsstrafrecht, der Wettbewerbspolitik, der Sicherheitspolitik und den Problemen der Medien- und Informationsgesellschaft. Ferner ist er auch für die bilateralen Beziehungen zu Nordamerika, Britischen Inseln, Ozeanien und Afrika zuständig. Er ist Generalsekretär der ICC Switzerland.


In diesem Rahmen befasst er sich auf nationaler und internationaler Ebene auch mit Corporate Governance, internationalen Investitionen, Regelungen für multinationale Unternehmen und der Korruptionsbekämpfung. Er leitet die entsprechenden wirtschaftsinternen Expertengruppen (u.a. die Herausgebergruppe des «Swiss Code of Best Practice for Cor-porate Governance») und ist Mitglied zahlreicher internationaler Komitees und Arbeits-gruppen der Internationalen Handelskammer ICC, des europäischen Industrieverbandes UNICE und des Wirtschaftsausschusses BIAC bei der OECD, teils in leitender Funktion. Auf eidgenösschischer Ebene ist er Mitglied der Wettbewerbskommission und der Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten.


Zur Organisation
ICC Switzerland ist ein Organ von ICC und wird von economiesuisse geführt. Mitglieder sind international ausgerichtete Unternehmen, grössere oder spezialisierte Anwaltskanzleien, Handelskammern sowie die wichtigen Wirtschaftsorganisationen. ICC Switzerland wurde als eines der ersten nationalen Komitees der ICC 1922 von economiesuisse (früher Vorort), der Schweizerischen Bankiervereinigung und der Schweizerischen Handelskammer in Frankreich gegründet. Aufgabe von ICC Switzerland ist es, den Unternehmen in der Schweiz den Zugang zu den zahlreichen Aktivitäten der Weltorganisation zu gewähren, sie über internationale Wirtschaftsentwicklungen zu orientieren, auf diese aus Schweizer Sicht Einfluss zu nehmen und die Positionen der internationalen Wirtschaft über economiesuisse in der Schweiz zu vertreten. Die Erarbeitung der wirtschaftspolitischen Positionen erfolgt in den Gremien von economiesuisse.

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