Übernahmen als treibende Kraft hinter der nächsten Boom-Phase?

Oktober-Kolumne von Ad van Tiggelen
Senior Strategist bei ING IM, Den Haag


Presseberichten zufolge signalisiert der aktuelle Trend bei Fusionen und Übernahmen wachsenden Optimismus über die wirtschaftliche Zukunft. Wir sind allerdings noch nicht so ganz überzeugt. Wahrscheinlicher ist nämlich, dass die Unternehmensführungen sich die Zahlen genau angeschaut haben: Ihre Finanzierungskosten sind unter die Free-Cashflow-Rendite ihrer potenziellen Übernahmeziele gesunken, und damit macht eine Übernahme wieder Sinn.


«Sekt oder Selters»
Es heisst also wieder «Sekt oder Selters»: Angeschlagene Finanzmärkte regenerieren sich in Rekordzeit. Noch liegt die globale M&A-Tätigkeit 60 Prozent unter ihrem Höchststand von 2007 (4.400 Milliarden US$), holt aber gewaltig auf. Das liegt aber nicht daran, dass die Banken auf einmal grosszügig sind. Vielmehr sind die Aktien- und Unternehmensanleihemärkte jetzt wieder gewillt, frisches Kapital bereitzustellen. Bereits im ersten Quartal dieses Jahres erreichte die Emissionstätigkeit im Unternehmensanleihesektor ein Rekordniveau und ist seitdem ausserordentlich lebhaft geblieben. Neu aufgelegte Anleihe- oder Aktienemissionen sind regelmässig vielfach überzeichnet.


Staatsanleihen beinahe auf historisch niedrigstem Stand
Bei Geldmarktsätzen und Renditen lang laufender Staatsanleihen fast auf historisch niedrigstem Stand, drängen sich die Anleger wieder um höhere Renditen. Der Run auf Unternehmensanleihen verläuft daher ungewöhnlich aggressiv, obwohl sie nicht mehr als preiswert bezeichnet werden können. Man könnte sogar argumentieren, dass Aktien mittlerweile sogar attraktiver bewertet sind als Unternehmensanleihen, eine totale Umkehrung der Situation Ende 2008.


Positives Umfeld für M&A
Für börsennotierte Unternehmen ist diese Entwicklung ausgesprochen erfreulich, da sie sich jetzt preisgünstig finanzieren können, ob am Anleihe- oder Aktienmarkt. Wie gesagt ist dieses Umfeld für M&A besonders positiv, auch wenn die Unternehmensführungen noch nicht von den Zukunftsaussichten überzeugt sind. Solange sie Wettbewerber mit einem tragfähigen Geschäftsmodell und einer Free-Cashflow-Rendite übernehmen können, die ihre eigenen Anleiherenditen übersteigt, lohnt sich das. In diesen Fällen bezahlt sich die Übernahme sozusagen selbst. Da die Unternehmen sich während der letzten Rezession generell sehr besonnen verhalten haben, besteht kein Mangel an interessanten Übernahmekandidaten, die ausreichend Liquidität generieren.


Finanzmärkte brauchen neue Impulse 
Solange die Renditen von Unternehmensanleihen niedrig bleiben (und das mag noch eine Weile der Fall sein), wird sich wohl auch die M&A-Tätigkeit lebhaft entwickeln. Keinen Augenblick zu früh, denn die Finanzmärkte werden neue Impulse dringend brauchen. In Anbetracht der hohen Erwartungen und stagnierenden Verbrauchernachfrage dürften sich die positiven Überraschungen bei Ertrags- und Konjunkturentwicklung nämlich bis auf weiteres wohl in Grenzen halten. Die Bewertungen haben sich normalisiert und daher einiges an Attraktivität eingebüsst. Insofern könnten M&A in dieser Reifephase des Aufschwungs das nötige Tüpfelchen auf dem i beisteuern.


Gleichung mit mehreren Unbekannten
Wie können Investoren diesen Trend nutzen? Das ist gar nicht so einfach. Denn wenn die M&A-Ziele im Voraus bekannt wären, würden sie bei Ankündigung des Deals wohl kaum einen Aufschlag von durchschnittlich 22 Prozent einstreichen können. Es gibt allerdings auch eine grobe Richtschnur. Generell wird jeder Deal günstig für Aktionäre und tendenziell ungünstig für Anleiheinhaber sein. Mögliche Übernahmekandidaten werden sich in der Regel durch die Fähigkeit, hohe Free-Cashflows zu erzeugen, auszeichnen. Solche Unternehmen sind zwar in allen Branchen anzutreffen, kommen aber in den defensiveren Sektoren des Anlageuniversums besonders häufig vor. Hier jedenfalls liegen unsere Präferenzen. (ing/mc/ps)

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