Bundesrat hält Ständemehr für EU-Verträge nicht für nötig

Bern – Das Volk, aber nicht die Stände sollen sich zum Vertragspaket mit der EU äussern können. Das schlägt der Bundesrat vor und argumentiert mit Kohärenz und Verfassungsmässigkeit. Zur Frage, ob Volksmehr oder Volks- und Ständemehr hat aber das Parlament das letzte Wort. Der Bundesrat plant zudem eine vierteilige Vorlage.
Mit einem fakultativen Referendum ist die Hürde für eine Zustimmung tiefer. Denn es braucht lediglich eine Volksmehrheit, aber keine Ja-Mehrheit der Kantone. Solche taktischen Überlegungen hätten aber nicht den Ausschlag für den Bundesratsentscheid gegeben, sagte Aussenminister Ignazio Cassis am Mittwoch vor den Medien in Bern.
Es gebe zwar politisch-taktische Überlegungen, räumte Cassis ein. «Das gehört dazu.» Der Bundesrat argumentiere jedoch mit der staatspolitischen Kohärenz. Er wolle sich an die Verfassung halten und bisherige Entscheide einbeziehen.
Verfassungsmässig am besten abgestützt
Beim Entscheid stützte sich der Bundesrat zum einen auf frühere vergleichbare Fälle. Ein fakultatives Referendum entspreche der Praxis bei den früheren Bilateralen. Das Schengen/Dublin-Abkommen etwa habe eine weiter reichende dynamische Rechtsübernahme vorgesehen als das neue Vertragspaket.
Weiter konsultiere der Bundesrat die Rechtslehre und führte Gespräche mit den Kantonen und den aussenpolitischen Kommissionen beider Räte. Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates hielt ein obligatorisches Referendum nicht für möglich.
Ein fakultatives Referendum sei verfassungsrechtlich die am besten abgestützte und politisch die tragfähigste Lösung, befand der Bundesrat. Cassis erinnerte weiter ans Nein von 2012 zur Volksinitiative «Staatsverträge vors Volk». Eine klare Mehrheit habe zu völkerrechtlichen Verträgen mit wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen kein obligatorisches Referendum gewollt.
Auch mit Blick auf notwendige inländische Regelungen – etwa für den Lohnschutz oder die Zuwanderung – sei das fakultative Referendum die überzeugendere Lösung, führte Cassis weiter aus. Die Abkommen können so formell mit der Umsetzung im Inland verknüpft werden.
Der Bundesrat wolle die Abkommen mit der EU und die Gesetzgebung zur Umsetzung im Inland gemeinsam vorlegen, sagte Michael Schöll, Direktor des Bundesamtes für Justiz. «Damit wissen die Stimmenden, dass ein Ja zum Abkommen auch ein Ja zu dessen Umsetzung respektive zu flankierenden Massnahmen in der Schweiz bedeutet.»
Parlament entscheidet
Dass es doch noch ein obligatorisches Referendum und damit das Erfordernis eines Volks- und eines Ständemehrs gibt, ist aber nicht ausgeschlossen. Denn abschliessend entscheidet das Parlament über die Frage. Mit dem fakultativen Referendum erhielten Räte und Kantone so viel Handlungsspielraum wie möglich, so Cassis.
«Das Parlament entscheidet, der Bundesrat muss damit leben können», sagte Cassis, angesprochen auf einen vom bundesrätlichen Vorschlag abweichenden Parlamentsentscheid. Der Bundesrat wolle vor der Vernehmlassung seine klare Meinung und Haltung darlegen. Danach übernehme jedes Organ seine Verantwortung und am Ende der Souverän.
Der Bundesrat plant eine vierteilige Vorlage. Über jeden Teil soll das Parlament separat beraten, und jeder Teil soll referendumsfähig sein. Der erste Bundesbeschluss betrifft die Stabilisierung der bilateralen Beziehungen. Hier stelle sich die Frage des fakultativen oder obligatorischen Referendums vor allem, sagte Cassis.
Die drei anderen Teile sollen die Weiterentwicklungen des bilateralen Weges regeln. Stichworte dazu sind Strom, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Dieses Vorgehen respektiere den verfassungsmässigen Grundsatz der Einheit der Materie, so der Bundesrat.
Vernehmlassung zu rund 1800 Seiten
Zurzeit ist geplant, dass die EU-Verträge im Mai in Bern paraphiert werden. Vor der Sommerpause will der Bundesrat die Vernehmlassung eröffnen. Diese soll bis zum 31. Oktober dauern. Insgesamt rund 1800 Seiten Dokumente werden die Teilnehmenden in den vier Monaten zu prüfen haben, wie Staatssekretär Alexandre Fasel ausführte.
Es sind die in die Landessprachen übersetzten Vertragstexte, Anpassungen im Schweizer Recht und Erläuterungen dazu. Im März 2026 will der Bundesrat dem Parlament die Botschaft zustellen. «Ab dann bestimmt das Parlament die Agenda», sagte Fasel. (awp/mc/ps)