digitalswitzerland: Digitale Souveränität und kritische Infrastrukturen – wo sind die Grenzen?

digitalswitzerland: Digitale Souveränität und kritische Infrastrukturen – wo sind die Grenzen?
(Foto: WhitePress)

Zürich – Wie viel Kontrolle, Selbstbestimmung, oder gar Autarkie braucht ein Staat und eine Gesellschaft in der datengetriebenen Welt? Und welche Infrastrukturen sind wirklich kritisch? digitalswitzerland ging dem Problem auf den Grund und lud zur Diskussion: Das Podium, besetzt mit Nationalrätin Min Li Marti (SP) und den Nationalratskandidat:innen Nicola Forster (GLP), Tobias Weidmann (SVP) und Ivette Djonova (FDP) bot eine digitalpolitische tour d’horizon. Jochen Dürr, Chief Risk Officer der SIX Group, näherte sich dem Thema aus der Sicht eines Betreibers kritischer Infrastrukturen.

Digitale Souveränität und kritische Infrastrukturen sind momentan in aller Munde. Das Parlament hat in der Herbstsession mehrere Geschäfte in dieser Thematik bearbeitet (u.a. die Meldepflicht für Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen), und der Schock um das Datenleck bei Xplain wirkt noch immer nach. Massnahmen scheinen überfällig. Dass das leichter gesagt als getan ist, zeigt sich schon an der Schwierigkeit, Definitionen zu finden.

Dr. Jochen Dürr, Chief Risk Officer der SIX Group, präsentierte dem Publikum einen Annäherungsversuch an das Thema. Er skizzierte für die Handhabung der Problematik zwei wirtschaftspolitische Ansätze, die Industriepolitik und den marktliberalen Ansatz. Eine Übertragung der staatlichen Definition von Souveränität auf die Digitalisierung funktioniere nicht – dafür seien die Interessen der Individuen, Staaten und Unternehmen viel zu unterschiedlich. Folglich sei aus der Sicht eines privatwirtschaftlichen Unternehmens ein industriepolitischer Ansatz, beispielsweise zur Förderung “nationaler Champions” in digitalen Infrastrukturen nicht zielführend und aufgrund der Grösse der Schweiz auch nicht wirtschaftlich.

In der darauffolgenden Podiumsdiskussion herrschte schnell Einigkeit darüber, dass eine einheitliche Definition sowohl von digitaler Souveränität wie auch von kritischen Infrastrukturen schwierig sei – dennoch müsse die Schweiz die Zügel in die Hand nehmen.

Für Ivette Djonova, Nationalratskandidatin FDP, war es wichtig, kritische Infrastrukturen nicht mit Territorialität gleichzusetzen. Viel eher müsse die Schweiz versuchen, sich aktiver in den internationalen Regelwerken, die diese Fragen regeln, einzubringen und den eigenen Standort in vorausschauender und technologieneutraler Weise zu regulieren – das Datenschutzgesetz sei hier als erfolgreiches Beispiel zu nennen. Momentan warte der Bund aber lieber zu, was Rechtsunsicherheit schaffe und den Standort schwäche. Eine Stärkung der Schweizer ICT-Branche und eine beschleunigte Digitalisierung der Behörden seien weitere Felder, wo unmittelbar gehandelt werden könnte und die der Stärkung der kritischen Infrastruktur zuträglich seien.

Kantonsrat und Nationalratskandidat Tobias Weidmann (SVP) erinnerte daran, dass mit den Chancen, die die Digitalisierung bietet, auch die Risiken steigen. Das Militär biete allerdings eine gute Blaupause dafür, wie eine zielführende Kategorisierung der kritischen Infrastrukturen und deren Schutzbedarf aussehen könnte – eine Massnahme, die bereits morgen angegangen werden könnte. Doch Weidmann warnte zugleich vor zu vielen Schutzvorgaben für die Wirtschaft – diese bremsten die Innovation aus. Im Gegensatz zu Djonova sei für ihn beispielsweise das revidierte Datenschutzgesetz zu strikt. Für Weidmann ist digitale Souveränität eine inhärent staatliche Aufgabe – vom Staat für den Staat. Der Markt in der globalisierten Schweiz passe sich den globalen Standards an.

Nationalratskandidat Nicola Forster (GLP) erinnerte die Runde in seinen Ausführungen immer wieder an die grundlegenden Fragen, die die Schweiz für sich beantworten müsse, und ohne die die Diskussion nicht zielführend sei: Was ist Souveräntität? Wie fest wollen wir sie? Ist es beispielsweise möglich und wünschenswert, autark zu sein? Forster erinnerte daran, dass in der digitaliserten und globaliserten Welt die meisten Daten unmittelbar international verfügbar und verwertbar sind. Gleich verhalte es sich mit den kritische Infrastrukturen – auch sie seien nie nur (national)staatlich – die Vermengung von privaten und öffentlichen Akteuren, die Aufgaben von öffentlichem Interesse wahrnehmen, mache eine Abgrenzung sehr schwierig. Was die Schweiz tun könne, sei, sich aktiv um die Teilhabe in den wichtigen Gremien zu kümmern – dort, wo letztlich die (digitale) Souveränität verhandelt und weiterentwickelt werde.

Nationalrätin Min Li Marti (SP) stellte fest, dass souverän auch die Nation ist, welche ein Verständnis für das vorliegende Thema aufzeigt; der empfundene Kontrollverlust, gepaart mit augenscheinlich fehlenden Kompetenzen bei der öffentlichen Hand, löse bei der Bevölkerung ein Unbehagen aus. Des Weiteren teilte Sie ebenfalls die Meinung, dass ein völliger Alleingang der Schweiz abwegig wäre, betonte aber, dass vor allem Rechtsunsicherheit – und nicht Regulierung per se – innovationsfeindlich sei. Deswegen sprach sich Min Li Marti dafür aus, im Wettlauf um die intelligenteten Regulierungen politische Entscheidungsträger stärker zu befähigen, da mangelndes Wissen Abhängigkeiten erhöht.

Dieser Anlass wurde durch die SIX Group als Gastgeberin ermöglicht und ist Teil einer Reihe von politischen Events rund um die Wahlen 2023, mit denen digitalswitzerland die Digitalisierung in den politischen Diskurs bringt. Neben diesem Anlass in Zürich findet ein weiteres Podium in Bern am 11. Oktober zum Thema Cybersecurity statt. Die Anlässe sind kostenlos und für die Öffentlichkeit zugänglich. (digitalswitzerland/mc)

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