Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Optimismus und Humor

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Optimismus und Humor

Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – In der Beilage der NZZ am Sonntag vom 31. August erklärte der Demografie-Forscher James Vaupel die Geheimnisse eines langen Lebens: «Optimismus und Humor verlängern das Leben“. Das leuchtet irgendwie ein und ist wohl auch in der Wirtschaft nicht anders. Eine Prise Optimismus ist sicherlich die bessere Grundlage für er­folgreiches und effizientes Wirtschaften als Pessimismus – wenn man es mit dem Optimismus nicht übertreibt. Es gibt ja auch den so genannten blinden Optimismus. Und Optimismus hilft natürlich auch nicht, wenn etwas völlig im Argen liegt, wie zum Beispiel im Süden Europas, wo Optimismus der arbeitslosen Jugend kaum zu einem Job verhilft. Oder wie zu Beginn der Neunzigerjahre in der Schweiz, als die Parole «Der Aufschwung beginnt in Kopf“ wenig bis gar nicht half, die damals herrschende Wachstumsmalaise zu überwinden.

Der Abschwung beginnt im Kopf
Optimismus und Pessimismus wirken asymmetrisch, in­dem Pessimismus eher zu Rückschlägen führt als Opti­mismus positive Wirkung entfaltet. Man denke an einen Marathonläufer, den schon vor dem Startschuss Zweifel plagen, ob er das Rennen heute überhaupt schafft. Das ist sicherlich keine gute Basis für die erfolgreiche Über­windung der Distanz und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der Läufer unterwegs aufgibt. Eine gesunde Portion Optimismus vor dem Rennen kann dagegen gewisse Kräfte freisetzen, wenn der Läufer die entsprechenden Voraussetzungen mitbringt. Zuversicht ist auch in der Wirtschaft eine bessere Ingredienz als Skepsis und solan­ge es sich nicht um puren Zweckoptimismus oder Durch­halteparolen handelt tun Regierungen, Geldhüter und andere Exponenten der Wirtschaft gut daran, eine gewis­se Zuversicht zu verbreiten. Unglaubwürdig wird das nur dann, wenn beispielsweise der wirtschaftliche Leistungs­ausweis einer Landesregierung objektiv betrachtet be­scheiden ist, aber dennoch vermeintliche Prosperität versprochen wird. Die berühmte („Bonner“) Wende in Deutschland ist ein gutes Beispiel dafür. Bekanntlich brachte der Regierungswechsel im Herbst 1982 nicht den erhofften Um- und Aufschwung. Die Erfahrung zeigt, dass es mehr als markige Worte braucht, um eine Wende zum Positiven herbeizuführen. Andersrum können weni­ge skeptische Voten dazu führen, Zuversicht im Keim zu ersticken. Im Kopf beginnt folglich höchstens der Ab­schwung, nicht aber der Aufschwung.

Verbale Geldpolitik
Seit dem Platzen der Subprime Blase sind die Zentralban­ken die eigentlichen Herrscher der Welt. Nachdem die Regierungen in den reifen Industrieländern, nur um wieder gewählt zu werden, jahrzehntelang zugelassen hatten, dass über die Verhältnisse gelebt wurde, muss die Geldpolitik nun versuchen, wenigstens ein bisschen auf­zuräumen und Zeit zu schinden, bevor die Investoren Nerven oder Geduld verlieren . Macht heisst aber auch Verantwortung. Da die Geldpolitik allmählich mit ihrem Latein am Ende ist, da konventionelle und unkonventio­nelle Massnahmen weitgehend ausgeschöpft wurden, wird die Kommunikation ein immer wichtigerer Bestand­teil der Geldpolitik. Ende Juni unterstrich dies auch EZB-Präsident Mario Draghi unter dem Titel „Vertrauen ist alles“. Allerdings wird es immer schwieriger, Vertrauen zu schaffen oder zu erhalten, wenn dieses zunehmend auf Worten statt Taten beruht, weil die geldpolitischen Mittel erschöpft sind. Es gibt daher kaum Pressemitteilungen oder verbale Statements, die in dem Masse akribisch unter die Lupe genommen werden, wie Äusserungen der allmächtigen Geldhüter. Nur leider sind diese nicht immer so bedacht und sensibel, wie sie angesichts ihrer Trag­weite sein sollten.

Vage Andeutungen und Warnungen
Fed-Chefin Janet Yellen etwa sorgte am weltweit wich­tigsten Treffen der Notenbanker in Jackson Hole eher für Konfusion als Klarheit, indem sie anstatt eines klaren Signals zur Zinsentwicklung lieber einen akademisch angehauchten Vortrag zur „Neubewertung der Dynamik an den Arbeitsmärkten„ hielt. Überhaupt redet sie seit ihrem Amtsantritt relativ viel, lässt dabei aber vieles of-fen. Auch Mario Draghi muss sich verbal immer stärker exponieren, um das Vertrauen in den Märkten aufrecht zu halten. Nachdem er mit seiner Politik die klammen Peripherieländer der Eurozone entlastete und Zeit für sie kaufte, mahnt er nun die Finanzpolitiker zum Handeln. Die wiederum hegen Zweifel, ob es der EZB tatsächlich gelingt, das Deflationsgespenst zu bannen. So zum Bei­spiel der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble: “Um ganz offen zu sein, ich glaube nicht, dass die EZB-Geldpolitik die Instrumente hat, um Deflation zu bekämp­fen». Das klingt nicht nach Vertrauen. Jüngst liess der EZB-Präsident verlautbaren, dass er sich von Blackrock, dem weltweit grössten Vermögensverwalter beraten lässt, um das im Sommer angekündigte Programm für Käufe von verbrieften Krediten umzusetzen. Blackrock hält notabene Anteile von bis zu 10% an den grössten Unternehmen der Welt und hängt damit stark am Tropf der Geldpolitik. Asset backed Securities (ABS) waren darüber hinaus mit ein Auslöser der grössten Finanzkrise der Nachkriegsgeschichte. Das weckt eher Misstrauen als Vertrauen.

Skepsis in der Schweiz
Auch in der Schweiz verbreitet der Geldhüter weniger Zuversicht als auch schon, gelinde gesagt. Denn unter dem Titel «Das Umfeld für die Schweiz hat sich eindeutig verschlechtert» gab Nationalbankpräsident Thomas Jordan übers Wochenende – ebenfalls in der NZZ am Sonn­tag – seiner Sorge Ausdruck, dass die Konjunktur ins Stocken geraten und die Deflation zum Problem werden könnte. Zweifellos haben die konjunkturellen Risiken etwas zugenommen, aber dass Europa im zweiten Quar­tal 2014, das bekanntlich bereits zwei Monate hinter uns liegt, schwächelte, muss noch lange nicht heissen, dass wir in der Schweiz Gefahr laufen, in eine Rezession zu geraten. Und bei leicht negativen Inflationsraten gleich von Deflation zu sprechen, ist doch eher ungewöhnlich, zumal damit ein nicht unerwünschter realer Kaufkraft­gewinn verbunden ist. Die ominöse Immobilienblase, vor der die Nationalbank seit mehreren Jahren warnt, scheint sich nun allmählich zu verflüchtigen. Was also sollen all die Mahnungen und Warnungen? Man wird den Gedanken nicht los, dass Warnungen der Zentralbanken heute präventiv ausgesprochen werden. Denn so kann man immerhin darauf verweisen, gewarnt zu haben, wenn etwas passiert. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass man das grösste Debakel an den Finanzmärkten nach dem Krieg nicht vorhergesehen hatte. Leider schü­ren aber Warnungen auch Ängste und können so einen Abschwung einleiten – wenn auch zunächst nur im Kopf. (Raiffeisen/mc/ps)

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