Giles Keating, Leiter Credit Suisse Global Economic and Strategy Group: «Es findet ein Strukturwandel statt, indem China und Indien mit ihrem Wirtschaftswachstum eine weltweite Führungsposition einnehmen»

Giles Keating, Leiter Credit Suisse Global Economic and Strategy Group: «Es findet ein Strukturwandel statt, indem China und Indien mit ihrem Wirtschaftswachstum eine weltweite Führungsposition einnehmen»

Von Dorothée Enskog, Credit Suisse






Dorothée Enskog: Sind diese Zinsängste berechtigt?
Giles Keating: Wir haben eindeutig eine Anpassung festgestellt: Die Leute gehen nicht mehr davon aus, dass das US Fed die Zinsen senken wird, sondern stellen sich auf die Gefahr einer Zinserhöhung ein. Die Erwartung von Zinssenkungen wurde von den Märkten zu Recht aufgegeben. Meiner Ansicht nach wären Zinssenkungen nie wirklich gerechtfertigt gewesen, da die US-Wirtschaft nie so schwach war. Die Märkte mögen etwas übers Ziel hinausgeschossen haben, als sie noch in diesem Jahr mit Zinserhöhungen des Fed rechneten. Ich denke am ehesten, dass das Fed die Zinsen unverändert belässt. Angesichts dessen sind sinkende Kurse und steigende Renditen an den Anleihenmärkten gerechtfertigt gewesen.









Werden die europäischen und die Schweizer Zinsen steigen?
Was die Zentralbanken angeht, ja, da ist mehr zu erwarten. Vermutlich ist mit mindestens einer, eher aber mit zwei Zinserhöhungen sowohl in der Eurozone als auch in der Schweiz zu rechnen. Was die Anleihenmärkte betrifft, sind sie schon recht weit fortgeschritten und haben diese Zentralbankschritte möglicherweise bereits einkalkuliert. In der Eurozone liegen die Anleihenrenditen nun im Bereich zwischen 4,6 und 4,7 Prozent. Das dürfte für den Augenblick ausreichen.

Wie wirken sich die höheren Zinsen auf die Weltwirtschaft aus?
Die Zinserwartungen sind gestiegen, weil sich die Weltwirtschaft als relativ robust erwiesen hat. Anfangs Jahr waren die Leute über den US-Wohnungsmarkt besorgt. Sie dachten, er werde die USA schwächen und vielleicht sogar in eine Rezession treiben. Nun scheint die US-Schwäche relativ gering zu sein, und die übrigen Länder haben sich als bemerkenswert robust erwiesen. Europa und Asien sind beide sehr stark. Aus diesem Grund sind die Zinsen gestiegen. Die höheren Zinsen mögen vielleicht das Wachstum ein klein wenig dämpfen. Der eigentliche Mechanismus ist aber nicht der, dass die Zinsen unbegründet steigen und eine Bedrohung darstellen. Vielmehr ist es die starke Weltwirtschaft, welche die Zinsen nach oben drückt.

Welche Länder oder Regionen verzeichnen gerade jetzt eine Überperformance?
Europa hat Vorsprung gegenüber den USA. China übertrifft Europa und Indien. Japan weist einige technisch gute Zahlen auf, liegt aber eher im mittleren Bereich. Es findet ein Strukturwandel statt, indem China und Indien – und in geringerem Masse auch einige andere Schwellenländer – anders als noch vor ein paar Jahren mit ihrem Wirtschaftswachstum eine weltweite Führungsposition einnehmen. Ein weiterer struktureller Wandel besteht darin, dass Europa endlich einige seiner wichtigen Grundsatzprobleme anzupacken begonnen hat. Deutschland geht es besser. Frankreich wird vielleicht durch den Regierungswechsel besser abschneiden. Die USA verzeichnen inzwischen eine Konjunkturschwäche.

Gibt es irgendein Land mit einer Unterperformance?
Die USA hinken ein wenig hinterher. Den meisten Ländern geht es wirtschaftlich einigermassen gut, abgesehen von ein paar traditionellen Nachzüglern in Lateinamerika und Afrika. Grossbritannien, Neuseeland und Australien sind innerhalb des Konjunkturzyklus besonders weit fortgeschritten. Deshalb können sie in nächster Zeit vermutlich mit einer gewissen Abschwächung rechnen.

Die Erdölpreise steigen wieder. Bedeutet das eine Gefahr? Die Erdölpreise sind – gewissermassen wie die Zinsen – stark, weil eine grosse Nachfrage besteht und weil die Weltwirtschaft stark ist. Es bestehen einige lokalisierte Bedenken bezüglich der Angebotsfaktoren, was die Situation in Nigeria betrifft, aber grösstenteils ist der hohe Erdölpreis Ausdruck einer starken Weltwirtschaft. Ein bisschen ist es wie bei den Zinsen: Die hohen Erdölpreise dämpfen das Wachstum ein wenig. Sicherlich jedoch scheint es nicht so zu sein, dass die Erdölpreise grosse Wachstumsprobleme verursachen würden. Nur im Falle grösserer weltpolitischer Probleme könnten die Erdölpreise das Wachstum effektiv gefährden.

Wird die Inflation zu einem Thema werden? Im Gegensatz zu vor sechs bis zwölf Monaten, als wir uns bezüglich der Inflationsgefahr zurücklehnen konnten, ist sie heute eindeutig ein Schlüsselthema. Wir müssen nun an der Inflationsfront wachsam sein. Zwar erachten wir die Inflation im Augenblick nicht als eindeutige Gefahr, aber sie könnte im nächsten Jahr zu einem Thema werden. Im Augenblick werden die hohen Erdöl-, Metall- und Rohstoffpreise in den meisten Ländern durch komfortable Arbeitskosten ausgeglichen, was die Inflation stabil hält.

In letzter Zeit hat an den Finanzmärkten eine gewisse Volatilität geherrscht. Wie können Anleger diese Situation nutzen?
Der Trend am Aktienmarkt weist nach wie vor nach oben. Langfristig, und insbesondere in den nächsten Jahren, müssen wir uns auf eine durchwachsene Situation an den Aktien- und Obligationenmärkten einstellen. Viel mehr als in den letzten vier Jahren. In Anbetracht dessen sollten Anleger sich über verschiedene Strategien und Anlageprodukte Gedanken machen, die von der Volatilität weniger stark betroffen sind und dadurch die Schwankungen etwas ausgleichen. Direktanlagen an den Aktien- und Obligationenmärkten sind von der Volatilität viel stärker betroffen.

Halten Sie an einer Übergewichtung der Aktien fest?
Ja, der Aktientrend deutet nach wie vor nach oben. Die Bewertungen sind immer noch angemessen bis günstig. Zudem ist die Weltwirtschaft ziemlich robust. Deshalb halten wir an unserer Übergewichtung fest. Allerdings warnen wir vor zunehmender Volatilität, insbesondere zum Jahresende hin. Anfangs des neuen Jahres könnten sich einige recht grosse Korrekturen einstellen. Dies sollten die Anleger berücksichtigen, wenn sie ihre Portfolios planen.

Was geschieht in den Schwellenländern? Ist China immer noch eine Option, oder würden Sie andere interessante Emerging Markets empfehlen?
Die Emerging Markets scheinen sich eines sehr gesunden langfristigen Trends zu erfreuen. Eine höhere Volatilität wird jedoch in den Schwellenländern noch stärker zum Tragen kommen als in den stärker entwickelten Märkten. Was die Bewertungen in China betrifft, so müssen wir zwischen den lokalen Märkten unterscheiden, die besonders stark zugelegt haben, in die aber Ausländer im Allgemeinen kaum investieren. In Hongkong sind die Aktienkurse gestiegen, erscheinen jedoch nicht so überbewertet wie manche der einheimischen Aktien. Insgesamt bietet China bei sorgfältiger Auswahl durchaus Chancen. Es gibt jedoch bessere Anlagemöglichkeiten in anderen Schwellenländern, wie etwa Brasilien und Russland. In Indien sind die Blue Chips teuer, während manche der weniger bekannten Gesellschaften immer noch attraktiv sind.

Nun zu den Währungen: Wie denken Sie, dass sich der Dollar im Verhältnis zum Euro und zum Yen entwickeln wird? Das Verhältnis des Dollars zum Euro scheint die Talsohle erreicht zu haben. Der lange Rückgang der letzten 12 Monate ist nun allmählich zum Stillstand gekommen. In den nächsten sechs Monaten dürfte es vermutlich Momente geben, in denen der Dollar an Boden gewinnt. Zugleich dürfte der Dollar gegenüber dem Yen stark bleiben. Zum Jahresende hin dürfte dann Japan seine Zinsen entschlossener anheben als bisher. Das würde den Yen steigen lassen und den Dollar schwächen.

Wird der Schweizer Franken teurer?
Der Schweizer Franken befindet sich noch in seinen letzten Schwächestadien. Er ist nach wie vor eine Währung mit niedrigen Zinsen und damit ein Ziel für Carry-Trades, bei denen Geld zu günstigen Zinsen aufgenommen und in andere Währungen angelegt wird. Es ist denkbar, dass der Schweizer Franken noch während einiger Monate gegenüber dem Euro und dem Dollar schwach bleibt, bevor zum Jahresende hin oder Anfang des neuen Jahres eine gewisse Konsolidierung und Erholung eintreten.




Das Interview wurde uns freundlicherweise von Credit Suisse IN FOCUS zu Verfügung gestellt 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert