Unbekanntes Frankreich, der Lockruf des Südens und ein Velo-Albtraum

Unbekanntes Frankreich, der Lockruf des Südens und ein Velo-Albtraum
La Garde-Guérin (Bild: Helmuth Fuchs)

Zwar gibt es nur 172 offizielle “schönste Dörfer Frankreichs”, wir haben aber das Gefühl, fast jedes zweite Dorf auf unserer Route gehört dazu. Daneben gibt es auch noch fast menschenleere Weiten, die mit viel Ruhe und ebenso viel Geschichte glänzen. Und dann gibt es noch den einen Automobilisten, der all dem Genuss ein jähes Ende setzt.

Von Helmuth Fuchs

Seit dem ersten Bericht unserer Frankreichreise sind etwas mehr als zwei Wochen vergangen, in denen sich unser Reisetempo angenehm entschleunigt und im gleichen Masse die Dichte von bleibenden Eindrücken erhöht hat. 

Nach Bourg-en-Bresse folgen wir der Sonne nach Süden. Einen Zwischenhalt im Städtchen Rive-de-Gier nutzen wir für eine Velotour zur 1280 als Kartäuserkloster gegründeten Anlage von Sainte-Coiz-en-Jarez. 

Kaputt-restaurierte Kathedrale und ein auf dem Vulkan tanzendes Kirchlein

Das Ziel der Etappe ist jedoch das in einer Vulkanlandschaft gelegene Le Puy en Velay im Zentralmassiv der Auvergne. Auf erstarrten Lavakuppen (Puys) finden sich hier die im 10. Jahrhundert errichtete Kirche Saint-Michel d’Aiguilhe (heiliger Michael auf der Nadel) und die 1860 aus dem Metall von 213 während des Krimkrieges bei Sewastopol erbeuteten Kanonen gegossene Marienstatue Notre-Dame de la France.

Saint-Michel d’Aiguilhe, zum Vergrössern auf das jeweilige Bild klicken

Auf einem weiteren Vulkankegel steht die eindrückliche Kathedrale mit der besonders prächtigen Fassade. Die aus dem 11. Jahrhundert erhaltenen Reste wurden in verschiedenen Bauphasen wenig rücksichtsvoll erweitert und im 19. Jahrhundert kaputt-restauriert.

Kathedrale von Le Puy en Velay, zum Vergrössern auf das jeweilige Bild klicken

Le Puy-en-Velay ist der Ausgangspunkt des französischen Jakobsweges „Via Podiensis“ und die Kathedrale konnte tourismusfördernd zum Bestandteil des UNESCO Weltkulturerbes “Wege der Jakobspilger in Frankreich” gemacht werden. Viel Kultur auf kleinem Raum in einer aussergewöhnlichen Vulkanlandschaft machen Le Puy en Velay zu einem lohnenswerten Ziel etwas abseits der grossen Touristenströme, die sich weiter östlich von Valence über Avignogn in die Provence ergiessen.

Cevennen, Ruhe, Weite, Schluchten und eines der 172 schönsten Dörfer Frankreichs

Die Vorteile eines weitgehend autarken Reisemobils (Wasser für mehr als einen Monat, Diesel für 3’000 Kilometer und Haushaltsenergie solange wie die Sonne alle paar Tage einmal scheint), erschliessen sich weniger in der Stadtnähe als in weitgehend leeren Landschaften, weshalb wir uns nach Le Puy en Velay nach Okzitanien in die Cevennen absetzen. In der Nähe des kleinen Dorfes La Garde-Guerin, das mit seinen 30 Gebäuden und knapp einem Dutzend Bewohnern als eines der schönsten Dörfer Frankreichs ausgezeichnet wurde, finden wir einen perfekten Platz für den Steyr: Am Rande einer Schlucht, mit einem fantastischen Weitblick in eine fast unbewohnte Landschaft. Das Dörfchen ist eine mittelalterliche Burganlage mit kleinen Steinhäusern und einer Kapelle aus dem 12. Jahrhundert. In der Schlucht fliesst der Chassezac, ein Eldorado für Canyoning, während in den Felsen der Schlucht Kletterer schöne Routen in allen Schwierigkeitsgraden finden. 

La Garde-Guerin und Umgebung, zum Vergrössern auf das jeweilige Bild klicken

In der Ruhe gestärkt wagen wir ein bisschen mehr Nähe zu den Touristenrouten. In Montclus, das an einem Ort liegt, den Fischer schon vor 8000 Jahren besiedelten und das heute ebenfalls zu den schönsten Dörfer Frankreichs zählt, finden wir einen guten Ausgangspunkt für eine Velotour nach Aiguèze, an die Cèze und nach einer Übernachtung dann nach Uzès. 

Das ideale französische Lebensgefühl

Uzès ist kein Ort, der mit historischen Sehenswürdigkeiten überquillt, besticht aber in seiner Einheit von gut erhaltenen Bauten, war Bischofssitz vom 4. Jahrhundert bis zur französischen Revolution und hat für uns einen Charme, dem wir gerne und hoffnungslos erliegen.

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Von hier lässt sich die Gegend mit dem Velo hervorragend erkunden. Der Pont-du-Gard ist nur 15 Kilometer entfernt. Lussan, Sie ahnen es, ebenfalls eines der schönsten Dörfer Frankreichs und die Töpferei-Hochburg Saint-Quentin-la-Poterie lassen sich in einer ca. 65 Kilometer-Velorunde erkunden.

In der Umgebung von Uzès, zum Vergrössern auf das jeweilige Bild klicken

Den Tag über geniesst man Pausen am besten auf dem Place aux Herbes. Restaurants gruppieren sich wie Zuschauertribünen um diese Bühne des täglichen Lebens. Immer ist etwas los, immer gibt es was zu sehen, seien es spielende Kinder, lautstark diskutierende Erwachsene, oder die faszinierende Dramaturgie des wöchentlichen Markts. Mit seinen etwas mehr als 8’000 Einwohnern ist Uzès ein kompaktes Städtchen, dessen quirliges Leben sich in den alten Stadtgrenzen abspielt, das aber jederzeit auch genügend Musse bietet zum Innehalten, dem Genuss eines Pastis im „Terroirs“ oder einem fantastischen Eis aus „La Fabrique Givreé“. In Bourg-en-Bresse kamen wir in Frankreich an, in Uzès in einem idealen französischen Lebensgefühl.

Türe auf ins Spital

Auf den letzten 200 Metern der Rundtour nach Lussan eine unerwartete Wende: Ein Automobilist in einer Reihe am Strassenrand parkierter Auto schmiss seine Fahrrertür auf, ohne zu sehen, dass ich mich mit dem Velo gerade auf seiner Höhe befand. Ein Knall und Ich fand mich auf dem Boden wieder, starke Schmerzen in der linken Hüfte, Schwindel beim Versuch, aufzustehen. Umstehende und der Automobilist organisierten die Ambulanz, Fahrt ins Universitätsspital nach Nîmes. Röntgen im überfüllten Spital (alle Gänge mit Betten zugestellt, stundenlanges Warten) und morgens um 03:00 dann die Entlassung mit den Röntgenbildern und dem Befund, dass das Becken nicht gebrochen sei, sowie der Verschreibung für Schmerzmittel. Seither humpeln an Krücken. Das Ende der Ferien? So viel sei verraten: Nicht ganz, aber auch kein “weiter so”.


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Wassereinbruch im Expeditionsmobil am 1. Mai, im Service-Wunderland Schweiz, und der Sinkflug des französischen Nationalhuhns

3 thoughts on “Unbekanntes Frankreich, der Lockruf des Südens und ein Velo-Albtraum

  1. Das tut mir sehr leid für dich, aber du solltest auch nicht immer versuchen das Tempo deiner Tochter auf dem Velo nachzuahmen! Ich wünsche dir ganz gute Besserung und versuche anstelle von Schmerzmitteln mal einen guten Bordeaux, die Kombination ist auch möglich. lgpst

  2. Ui, ui, ui. Aber das mit den Betten im Gang ist üblich in Frankreich und hätte dir auch schon ‹mal im Genfer Kantonsspital passieren können. Gott-sei-Dank musstest du nicht drin bleiben. Weiter gute Besserung.

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