Bankgeheimnis: EU 10, Schweiz 0

Bankgeheimnis: EU 10, Schweiz 0

EU-Steuerkommissar Pierre Moscovici

Die Zeit heilt nicht nur Wunden, sie höhlt auch Widerstände aus. Tönte der Bundesrat noch 2009 vollmundig und unisono, dass am Bankgeheimnis festgehalten werde, haben gestern Staatssekretär Jacques de Watteville und der EU-Generaldirektor für Steuerfragen, Heinz Zourek, das Abkommen zur Einführung des automatischen Informationsaustausch (AIA) in Brüssel abgeschlossen. Das Schweizer Bankgeheimnis und bilaterale Quellensteuerabkommen sind damit Geschichte. Und eine weitere Machtverschiebung vom Bürger zum Staat geschieht ohne grossen Widerstand.

Kommentar von Helmuth Fuchs

Wäre vor zehn Jahren ein solcher Vertrag noch mit Gegengeschäften verbunden gewesen, hat die EU ihre Position der Stärke gegenüber der Schweiz unverblümt ausgespielt. Keine Gegenleistungen, wie zum Beispiel ein einfacherer Marktzutritt für Schweizer Banken in Ländern des EU-Raumes (diesen muss die Schweiz mit jedem der einzelnen Ländern aushandeln), war die klare Ansage Brüssels.

Die Misere der Banken
Bei enger Betrachtung könnte man das Abkommen gelassen als eine Angelegenheit des Finanzsektors abtun. Die meisten Politiker und die Grossbanken haben sich mental schon länger vom Bankkundengeheimnis verabschiedet. Um eigene Positionen zu retten, scheuten sich Politiker und Banker nicht, Kundendaten auf genügend politischen Druck und unter Vernachlässigung rechtlicher Bestimmungen auszuliefern. Noch schmerzlicher mussten dies in jüngster Vergangenheit Bankenmitarbeiter erfahren, die von ihren Vorgesetzten schutzlos der Strafverfolgung, zum Beispiel derjenigen der USA, preisgegeben wurden. Der Reputationszerfall der Finanzindustrie führte in der Bevölkerung zu Gleichgültigkeit und sogar Schadenfreude, als klar wurde, dass die Banken dem Druck aus dem Ausland nicht würden stand halten können. Der Schaden in Form von Arbeitsplatzverlust, Steuerausfällen, Zuwachs von Sozialleistungen etc. scheint dabei keine grosse Rolle zu spielen. So weit, so schlecht, im Wesentlichen haben sich die (Gross-)Banken die Misere selbst zuzuschreiben.

Suspektes Subjekt oder souveräner Bürger
Viel wichtiger scheint mir jedoch ein anderer Blickwinkel, nämlich derjenige des freien Bürgers. Die Einführung des automatischen Informationsaustausches ist ein weiterer Schritt in einer schleichenden Entwicklung hin zum gläsernen Bürger. Unabhängig davon, ob man das begrüsst oder nicht, ist dies innerhalb der EU und im Verhältnis zu Drittstaaten ein substantieller Machtzuwachs  für den Staats-Apparat. Während in der Schweiz das Parlament zum Abkommen noch Stellung nehmen wird und es dem fakultativen Referendum unterliegt, ist es innerhalb der EU ein Verwaltungsakt. Die Position, dass die Steuerbehörde ein Recht darauf hat, genauestens über die Besitzverhältnisse der Bürger Bescheid zu wissen, ist verständlich, die Frage ist aber, aus welcher Perspektive der Bürger dabei betrachtet wird. Ist er der prinzipiell ehrliche Partner, der mit seinen Abgaben die von ihm legitimierten Leistungen des Staates finanziert, oder ist er ein prinzipiell verdächtiges Subjekt, dem man auf die Finger schauen und dessen Wohl man erzwingen muss? Die Schweiz hatte bis in die jüngste Vergangenheit eine Tradition in der ersten Position, während die EU eine Entwicklungstendenz hin zur zweiten Variante aufweist.

Nicht nur wir sind der Staat
Wenn der Staat mit seinen vielfältigen Betrieben der Wirtschaftssektor mit dem grössten Wachstum ist, nimmt seine Bedeutung zwangsläufig zu, ebenso der Wunsch nach weiterem Wachstum. Der Staat ist hier eine eigene Macht und nicht nur die Summe der mündigen Bürger. Die Versuchung, ihm nebst der Gestaltung von Rahmenbedingungen auch gleich die Verantwortung für die Umsetzung als wirtschaftlich agierendes Unternehmen zu überlassen, ist vor allem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gross. Langfristige Folgen werden unter anderen jedoch geringere Wettbewerbsfähigkeit, hohe Steuerlast und Abbau der Bürgerrechte sein. Die jüngste Entwicklung in der Schweiz mit der zunehmenden Zahl an Abstimmungen zu Themen der erhöhten Besteuerung in verschiedensten Lebensbereichen und dem Ausbau der staatlichen Überwachung sind Weichenstellungen für das künftige Selbstverständnis von Staat und Bürger. AIA hat auf europäischer Ebene für eine merklichen Verschiebung zugunsten der Staaten gesorgt. In dieser Runde ist die EU die klare Siegerin nach Punkten.

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