Ulrich Tilgner, Nahost-Experte, Autor und Journalist im Interview

Ulrich Tilgner, Nahost-Experte, Autor und Journalist im Interview
Ulrich Tilgner, Nahost-Experte, Autor, Journalist (Bild: Moneycab)

Von Helmuth Fuchs

Im Interview nimmt Ulrich Tilgner, Nahost-Experte, Autor und Journalist Stellung

  • zu den Ängsten in Europa und der Zukunft des Islamischen Staates

«Es ist ein asymmetrischer Krieg. Der Krieg ist nach Europa gekommen, aber die Europäer haben vorher Krieg geführt. Man hat den IS angegriffen. Das ist keine Rechtfertigung…, aber man kann nicht so tun, als ob das aus dem Blauen kommt.»

«Der IS befindet sich seit zwei Jahren auf einem schnellen Rückzug. Irgendwann wird er in den Untergrund verschwinden. Aber es wäre eine Illusion zu glauben, die militärische Zurückdrängung des Islamischen Staates würde seiner Zerschlagung gleichkommen.»

  • zum Vermächtnis der USA in Irak und Afghanistan

„Es ist eine Spur des Scheiterns. Irak droht der Zerfall in drei Teile. Das ist auch ein Ergebnis der amerikanischen Kriegsführung. In Afghanistan ist es ähnlich.“

  • zu der veränderten Rolle der USA unter Donald Trump

„Trump sagt überhaupt nicht, was er machen will, er lässt sich nicht in die Karten schauen. Wie er den IS einschätzt und was er machen wird, hat er niemals gesagt.“

  • zu den Optionen der EU und den USA in Syrien, wenn Assad an der Macht bleibt

„Zur Politik von Obama gab es eigentlich keine wirkliche Alternative.“

«Der Westen muss mit dem Regime verhandeln.»

  • zum Engagement von Russland in Syrien

„Russland hat nicht die Schwäche des Westens ausgenutzt, sondern das Chaos in Syrien.“

«Russland wird in Syrien präsent bleiben als eine Art Schutzmacht und Garantie für das Assad-Regime.»

  • zur Rolle von Saudi Arabien in der Region

„Saudi Arabien ist die entscheidende Macht im Hintergrund. Saudi Arabien hat militärisch in Libyen eingegriffen, als die Amerikaner eine Art Rücksitzposition im Libyenkrieg übernommen haben.»

„Die Gelder kommen ja nicht nur von Saudi Arabien, sondern aus allen ölreichen Golfstaaten für die islamische Opposition.»

„Saudi Arabien wird mit Sicherheit kein Zufluchtsort werden. Die Menschen wollen nicht nach Saudi Arabien gehen, weil es sehr harte Bedingungen gibt. Der Lebensstandard in Saudi Arabien ist nicht so hoch, wie man denkt.»

  • zur religiösen Spannung zwischen Sunniten und Schiiten

„Der Konflikt wird weiter schwelen, er ist Ausdruck der Spannung zwischen Iran und Saudi Arabien. Iran ist die Schutzmacht der Schiiten und Saudi Arabien die Schutzmacht der Sunniten.»

«Saudi Arabien hat Ägypten als Führungsmacht in der arabischen Welt abgelöst und Iran ist die neue starke Macht in der Region und versucht, einen schiitischen Halbmond aufzubauen zwischen Libanon, Syrien, Irak, Iran und Teilen Afghanistans.»

„Der grosse Konflikt der Region ist zwischen Iran und Saudi Arabien und das kann man politisch beilegen.»

  • zu den Möglichkeiten des Westens, Libyen oder Irak zu helfen

„Sich zurückziehen, den Schaden den sie angerichtet haben, versuchen auszugleichen.»

«Vor allem müssen die Staaten des Westens darauf hin arbeiten, dass die demokratische Opposition in den einzelnen Ländern gestärkt wird.»

«Wenn man zu Anfang die Demonstration gegen Assad gestärkt hätte in den Städten, hätte dem Land der Bürgerkrieg erspart bleiben können.»

«Man darf nicht Waffen an Saudi Arabien exportieren und sich dann wundern, wenn es Kriege gibt.»

  • zur Bedeutung einer erstarkenden Türkei in der Region

„Ich glaube, dass irgendwann eine Aussöhnung mit den türkischen Kurden, der PKK, kommen wird. Erdogan steht ökonomisch mit dem Rücken zur Wand.»

«Erdogan liebäugelt immer mit Zentralasien, mit einem osmanischen Grossreich, aber er weiss natürlich, dass das nicht mehr geht. Erdogan ist in keiner guten Situation, er wird wirtschaftlich in Europa sehr überschätzt.»

  • zur Zukunft des IS und den nächsten Profiteuren der Probleme im Nahen Osten

„Es wird einen IS weiter geben und zwar im Untergrund. Der IS hat ein weit verbreitetes Unterstützungsnetz und hat Zulauf in der ganzen Welt… Und er hat die Sympathisanten-Szene in Europa, die er nutzen kann, um Terroristen einzuschleusen.»

«Die EU muss eine geordnete Einwanderungspolitik organisieren, und sie muss die demokratischen Bewegungen unterstützen.»

  • zu den Chancen einer gemeinsamen Strategie der EU-Länder

„Solange die europäische Einigung generell nicht vorankommt, wird man bei den schwierigen aussenpolitischen Fragen nicht gemeinsam agieren.»

«Die EU muss erstens eine geordnete Einwanderungspolitik organisieren, und sie muss auf der anderen Seite die demokratischen Bewegungen unterstützen. «

  • zur Frage, wo der Westen eine aktive Rolle spielen, wo er sich zurückhalten sollte

„Wirtschaftlich ist die Globalisierung am Mittleren Osten vorbei gegangen. Es muss eine ökonomische Entwicklung geben, aber ich sehe nicht, wer diese Entwicklung anstossen kann, das ist die Katastrophe.»

«Regional ist kein Licht am Ende des Tunnels zu erkennen. Das bedeutet für mich: Chaotische Verhältnisse werden anhalten, weil die Bevölkerung zunimmt, der Bildungstand nimmt zu und die Unzufriedenheit der Menschen in diesen Regionen wird zunehmen.»

Zur Person:
Ulrich Tilgner (* 16. Januar 1948 in Bremen) ist ein deutscher Journalist, Auslandskorrespondent und Sachbuchautor. Bekannt wurde er als Kriegsberichterstatter aus Bagdad. Für seine Berichterstattung über den Irak-Krieg erhielt Ulrich Tilgner den Hanns-Joachim-Friedrich-Preis für Fernsehjournalismus 2003. Er hätte „unter den extremen Bedingungen der Kriegsberichterstattung seine professionelle Qualität und seine journalistische Unabhängigkeit bewahrt und bewiesen“. So lautet die Begründung des Trägervereins in Hamburg. Bücher u. A.: Zwischen Krieg und Terror (2006), Der inszenierte Krieg (2003), Umbruch im Iran (1979) Filme: Schah Matt (1981), Die Kurden – ein Volk, das es nicht geben darf (1983), sowie unterschiedliche Fernsehdokumentationen.


Das Interview entstand in Zusammenarbeit mit dem Alpensymposium

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