EZB-Ratsmitglieder signalisierten neutrale Haltung – ‹kein Bias›

EZB-Ratsmitglied Klaus Liebscher warnte am Dienstag in Wien vor Aktionismus bei der Zinspolitik. Auf die Frage, ob die EZB bei ihrer nächsten Ratssitzung Anfang Juli auf Grund der Vertrauenskrise der EU ihre Leitzinsen senken sollte, sagte Liebscher: «Ich glaube der beste Weg, ein Vertrauen der Bevölkerung in die Geldpolitik weiterhin zu gewährleisten, ist nicht Aktionismus, sondern eine Politik der ruhigen Hand.»


Noyer: Leitzins dezent angemessen
Liebscher sagte, dass der EZB-Rat derzeit in der Zinsfrage «in alle Richtungen offen» sei. Bei der Entscheidung müsse der Rat auch die gegenwärtigen Aufwärtsrisiken beurteilen. Zentrales Risiko für die Preisstabilität sei derzeit der Ölpreis, aber auch die Geldmenge und die Kreditvolumina seien zuletzt deutlich gewachsen. Das Kreditwachstum liege derzeit bei sieben Prozent, so Liebscher.


Keine bestimmte Neigung
Auch der französische Noten bankchef, Christian Noyer, betonte am Dienstag in Paris, dass die EZB bei der geldpolitischen Ausrichtung «keinen Bias», also keine bestimmte Neigung, habe. Noyer bezeichnete den Leitzins als derzeit angemessen. Der Eurozonen-Leitzins liegt seit zwei Jahren unverändert bei 2,00 Prozent. In jüngster Zeit ist der politische Druck auf die EZB gewachsen, die Leitzinsen angesichts der geringen Wachstumsdynamik in der Eurozone und der sich abschwächenden globalen Wirtschaft zu senken.


Unerwartet kräftige Leitzinssenkung in Schweden
Neu angefacht wurden Zinssenkungsspekulationen am Morgen durch eine unerwartet deutliche Leitzinssenkung der schwedischen Reichsbank. Diese hatte den Leitzins am Dienstag um 0,50 Prozentpunkte auf 1,50 Prozent gesenkt. Volkswirte hatten lediglich eine Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte erwartet. Der Euro sackte zeitweise wieder unter die Marke von 1,21 Dollar. Die Leitzinssenkung in Schweden hat nach Einschätzung der Commerzbank allerdings keinen Einfluss auf die Entscheidungen der EZB. «Die EZB agiert eigenständig», sagte Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert. Auch die DekaBank sieht in der schwedischen Entscheidung kein Signal für die EZB.


Wahrscheinlichkeit für Leitzinssenkung gering
Die Wahrscheinlichkeit für eine Leitzinssenkung der EZB liegt nach Einschätzung von Schubert weiter bei lediglich 20 bis 25 Prozent. Allerdings rechnet er vor dem Hintergrund der moderateren Wachstumsaussichten und des gedämpften Inflationsdrucks bis Ende 2006 mit einem Stillhalten der Währungshüter. Bisher war der Experte noch von einer Leitzinserhöhung um 0,50 Prozentpunkte 2006 ausgegangen. Eine Leitzinssenkung hält der Experte unterdessen für einen riskanten Schritt. Schließlich dürfte die verabreichte Medizin laut jüngsten Umfragen bei den Unternehmen nur «wenig Wirkung zeigen aber erhebliche Nebenwirkungen haben», sagte Schubert. Bereits jetzt sei das Zinsniveau historisch niedrig und die Liquiditätsversorgung überreichlich. (awp/mc/th)

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