Paul Kurrus, Präsident Aerosuisse: «Verstärkte Thematisierung des volkswirtschaftlichen Nutzens der Luftfahrt ist unser übergeordnetes Ziel»

Paul Kurrus, Präsident Aerosuisse: «Verstärkte Thematisierung des volkswirtschaftlichen Nutzens der Luftfahrt ist unser übergeordnetes Ziel»

von Patrick Gunti


Moneycab: Herr Kurrus, die Luftfahrt ist für die Schweiz von enormer Bedeutung. Wieso hat es trotzdem bis Ende Mai dieses Jahres gedauert, bis der erste Schweizer Luftfahrtkongress Tatsache geworden ist und welches waren die Ziele der Veranstaltung?


Die Luftfahrt hat in den letzten Jahren wegen der Globalisierung deutlich an Bedeutung gewonnen. Mit der internationalen Arbeitsteilung haben die Transportbedürfnisse für Menschen und Güter massiv zugenommen. Ferner haben die durch die Liberalisierung des Luftverkehrs erzielten  Effizienzsteigerungen des Luftverkehrs  das Fliegen für viele Leute erst möglich, resp. erschwinglich gemacht. Leider wurde die öffentliche Diskussion über den Luftverkehr in jüngster Zeit einseitig von der Lärmfrage dominiert. Mit dem ersten schweizerischen Luftfahrtkongress wollten wir im Sinne einer ausgewogenen Betrachtung, den herausragenden volkswirtschaftlichen Nutzen des Luftverkehrs in den Vordergrund rücken. Schliesslich hat sich die Aerosuisse als Branchenverband in den letzten Jahren sehr stark entwickelt. Für Aerosuisse stellt die verstärkte Thematisierung des volkswirtschaftlichen Nutzens der Luftfahrt ein übergeordnetes Ziel dar.


Paul Kurrus: Als Präsident von Aerosuisse, dem 1968 gegründeten Branchenverband, betonen Sie die Bedeutung der Luftfahrt als zentralem Standortfaktor für die Schweiz. Wie präsentiert sich dieser Luftfahrtstandort heute?


Die weltweite Luftfahrt erlitt in den letzten fünf Jahren die schwerste Krise in ihrem 100 jährigen Bestehen, Stichworte dazu sind 9/11, SRAS, Irak-Krieg und stetig steigende Ölpreise. In der Schweiz wurde die Krise durch das Swissair Grounding zusätzlich verschärft. Rund 20’000  hochwertige Arbeitsplätze gingen in dieser Krise verloren. Die Krise hatte indessen auch positive Auswirkungen, indem Entwicklungen stattgefunden haben, welche ohne diesen äusseren Druck  wahrscheinlich nicht in Gang gekommen wären. Heute befindet sich der Luftfahrtstandort Schweiz wieder in leichtem Aufwind. In der Schweiz hängen über 176’000 Arbeitsplätze mit einer Wertschöpfung von 26 Milliarden Franken in der einen oder anderen Form von der Luftfahrt ab.



«Die Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Zivilluftfahrt ist im internationalen Vergleich derzeit ungenügend.»  Paul Kurrus, Präsident Aerosuisse


Welche Faktoren wirken sich auf den Luftfahrtstandort Schweiz positiv aus?


Nach einem jahrelangen luftfahrtpolitischen Blindflug verfügt die Schweiz seit dem vergangenen Jahr mit dem luftfahrtpolitischen Bericht des Bundesrates über eine moderne und zukunftorientierte  Luftfahrtpolitik, welche eine gesunde Entwicklung dieser Branche ermöglicht. Neben der zentralen Lage der Schweiz im Herzen von Europa wirken sich das nach wie vor gute Image der Schweiz bezüglich Qualität, Verlässlichkeit und  politischer Stabilität aber auch die grosse Bedeutung der Schweiz als Tourismusdestination positiv auf die Luftfahrt aus. Auch der zahlungskräftige Heimmarkt der Schweiz ist ein wichtiger Erfolgsfaktor.


Und die negativen Faktoren?


Die Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Zivilluftfahrt ist im internationalen Vergleich derzeit ungenügend. Hier wirken sich vor allem die herrschenden  Rahmenbedingungen ungünstig aus. Konkret machen uns die sehr einschränkenden Überflugregelungen im süddeutschen Luftraum zu schaffen. Aber auch im Inland machen uns politische Tendenzen zur weiteren Einschränkung des Luftverkehrs grosse Sorgen. Ich denke hier etwa an die Plafonierungsinitiative im Kanton Zürich.

Im Weiteren kämpfen die schweizerischen Akteure mit einem vergleichsweise hohen Kostenniveau. Beispielsweise bezahlt die Luftfahrt hierzulande über die Besteuerung des Flugtreibstoffs jährlich 50-60 Millionen Franken an den Bau und den Unterhalt der Nationalstrassen. Ferner werden der schweizerischen Flugsicherungsfirma Skyguide Erträge für deren Flugsicherungsleistungen über Deutschland, Österreich und Italien vorenthalten. Kosten für die Abwehr terroristischer Bedrohungen, welche in anderen Staaten von der öffentlichen Hand übernommen werden, müssen hierzulande von der Branche bezahlt werden. Schliesslich hat sich der Bund durch die Abschaffung der schweizerischen Luftverkehrsschule heimlich aus seinem Bildungsauftrag hinausgeschlichen. Und nicht zuletzt leidet auch die Luftfahrt an einer ausufernden Regulierungsdichte und Bürokratie.


Wo liegen die besonderen Chancen und Herausforderungen für den Luftfahrtstandort in den kommenden Jahren?


Die zentrale Herausforderung liegt in der Schaffung von gleich langen Spiessen für den Luftfahrtstandort Schweiz im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz. Eine zentrale Aufgabe  bildet  die Verbesserung der Akzeptanz der Luftfahrt in der Bevölkerung, indem der Nutzen der Luftfahrt vermehrt ins Bewusstsein gerückt wird. Da die Entwicklung der Zivilluftfahrt von der Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal abhängt, ist der Nachwuchsförderung grosse Aufmerksamkeit zu schenken.


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Sie fordern bessere Rahmenbedingungen für die Schweizer Luftfahrt und nehmen dabei vor allem die Politik in die Verantwortung. Was sind ihre konkreten Forderungen?


Hier  steht die rasche  gesetzgeberische Umsetzung des luftfahrtpolitischen Berichtes des Bundesrates im Vordergrund. Damit werden die vorgenannten Nachteile für den Luftfahrtstandort Schweiz beseitigt. Es gilt aber auch neue Gefahren abzuwenden. Ich denke hier etwa an die von Präsident Chirac lancierte Abgabe auf Flugtickets zur Finanzierung der Entwicklungshilfe.



«Die gegenwärtige Situation belastet das Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland massiv»  Paul Kurrus


Wie nimmt Aerosuisse als Interessenorganisation der Schweizer Luftfahrtindustrie Einfluss gegenüber den Behörden?


Der Einfluss wird über verschiedene Kanäle ausgeübt. Zum einen finden regelmässige Konsultationen zwischen der zuständigen Behörde, dem Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL und der Aerosuisse statt. Die Ausarbeitung von fundierten Antworten auf Vernehmlassungen ist ein weiteres wichtiges Element. Um den Gesetzgeber, das Parlament, laufend, das heisst in jeder Session, über wichtige politische Anliegen zu informieren, leistet die Aerosuisse wichtige Beiträge im Rahmen der parlamentarischen Gruppe Luftfahrt. Schliesslich ist die Aerosuisse ständiges Mitglied im SALT (Swiss Aviation Leadership Team). Diese Gruppierung ist ein wichtiges beratendes Organ für die Verwaltung und die Landesregierung.


Sie haben es angesprochen, zu konkurrenzfähigen Rahmenbedingungen zählen Sie auch eine faire und operationell tragbare Vereinbarung mit Süddeutschland betreffend der Anflugregelung auf den Unique Airport Zürich. Welches sind Ihre Erwartungen an alle Beteiligten in diesem jahrelangen Konflikt?


Die gegenwärtige Situation belastet das Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland massiv. Ich erwarte daher, dass der Bundesrat mit der deutschen Regierung schnell Verhandlungen aufnimmt um den Konflikt mittels einer fairen, diskriminierungsfreien und operationell tragbaren Vereinbarung zu lösen. Bei der Ausgestaltung dieser Vereinbarung darf die Landesgrenze keine Rolle spielen. Dies gilt sowohl für den Lastenausgleich aber auch was die Verteilung des Nutzens des Flughafens Zürich anbetrifft.


Nicht nur die Politik, auch die Wirtschaft und die Wissenschaft wird von Aerosuisse zur Unterstützung aufgefordert. Wie sehen in diesem Bereich Ihre konkreten Forderungen aus?


In der Schweiz fehlt nach der Abschaffung der schweizerischen Luftverkehrsschule ein Kompetenzzentrum Luftfahrt für Lehre und Forschung.
Regierung, Gesetzgeber, Verwaltung, Wirtschaft und Medien sollten sich in grundlegenden Fragen der Luftfahrt auf eine unabhängige wissenschaftliche Basis abstützen können. Das Fehlen einer solchen Institution hat sich in den vergangenen Jahren sehr zum Nachteil der Schweiz ausgewirkt. Ich bin froh, dass  die Vorbereitungsarbeiten zur Schaffung einer solchen Institution derzeit mit Hochdruck vorangetrieben werden.


Denkt man an den Luftfahrtstandort Schweiz, gehen durch die vorherrschenden Themen wie Fluglärmbelastung, Swiss und Flugsicherung andere Bereiche wie zum Beispiel die Bedeutung der Luftfracht leicht ins Abseits. Als Präsident des Verbands der schweizerischen Speditions- und Logistikunternehmen (Spedlogswiss) können Sie uns sicher mehr zum Potenzial dieses Bereichs erklären.


Die Schweiz ist ein exportorientiertes Land das jeden zweiten Franken im Export verdient. Dabei stellt die Bereitstellung von ausreichenden Luftfracht-Kapazitäten ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Exportwirtschaft dar. Obschon bereits heute wertmässig 30% der Exportgüter unser Land auf dem Luftweg verlassen und viele Passagierstrecken nur Dank Zusatzerträgen aus mitgeführter Fracht betrieben werden können, fristet die Luftfracht immer noch ein Schattendasein. Auf diesem Gebiete besteht noch grosser Handlungsbedarf bezüglich Aufklärung der Bevölkerung und der Schaffung von günstigen Rahmenbedingungen.




Zur Person:
Paul Kurrus begann 1970 die Ausbildung zum Berufspiloten und wurde 1974 ? nach deren Abschluss ? Geschäftsführer und Fluglehrer bei der Flugschule Basel AG. Im Jahre 1978 trat er in die damalige Taxifluggesellschaft Business Flyers Basel AG ein, aus welcher später die Crossair wurde. Ab 1979 war er als Mitglied der Geschäftsleitung für die Flugoperationen zuständig. Ab 1989 baute er das Crossair Training Center auf. Parallel dazu war Paul Kurrus bis 2004 während rund 10’000 Flugstunden als Flugkapitän im Einsatz. Heute betreut er als Vizedirektor die Ressorts Public Affairs und Umwelt bei Swiss International Air Lines Ltd.

Paul Kurrus ist u. a. Präsident von Aerosuisse, dem Dachverband der schweizerischen Luftfahrt und der Verkehrskommission von Economiesuisse. Zudem ist er Vorstandsmitglied des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, von Schweiz Tourismus, der Handelskammer beider Basel (HKBB),  des ACS u.a.m. Er ist Mitglied verschiedener Kommissionen mit Schwerpunkt Verkehr ? insbesondere Flugverkehr ? und Umwelt. Von 1999 bis 2003 war er ausserdem Mitglied des Nationalrates.


Zu Aerosuisse:
Die 1968 gegründete Aerosuisse nimmt als Dachverband die Interessen der schweizerischen zivilen Luftfahrt wahr und sichert deren langfristige Existenzgrundlage. Sie vertritt alle an der Förderung und Erhaltung des Flugwesens interessierten Kreise und koordiniert deren Bestrebungen. Die Aerosuisse nimmt Einfluss auf die Gestaltung der gesetzlichen Grundlagen im Bereich der Luftfahrt und pflegt aktiv den Kontakt mit Regierung, Parlament und beteiligten Behörden sowie den Medien.

Der AEROSUISSE gehören heute über 100 Firmen und Organisationen an, namentlich Linien- und Charterfluggesellschaften, die Landesflughäfen und Regionalflugplätze, Abfertigungsgesellschaften, die Flugsicherung, Unterhaltsbetriebe, Flugzeug- und Komponentenhersteller, Flugschulen, luftfahrtorientierte Dienstleistungsunternehmen und alle massgebenden Verbände der Schweizer Luftfahrt.

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