Gian Saratz, VR-Präsident ICME International: «Viele Unternehmen, die operativ noch gut verdienen, sind strategisch bereits tief rot»

Von Helmuth Fuchs


Moneycab: Herr Saratz, die Swissair, die Winterthur Versicherung und die Zurich Financial Services haben einige erstaunliche Gemeinsamkeiten: Alle gerieten nach aggressiven Expansionsplänen in eine tiefe Krise und alle hatten vor der Krise eine auffällige «Beraterkultur» entwickelt. McKinsey, Boston Consulting Group, PricewaterhouseCoopers, KPMG und ähnliche bestimmten den Kurs der Unternehmen massgeblich mit. Wo sehen Sie heute die Bedeutung und das Image der Berater-Branche?


Gian Saratz: Die Ereignisse, die Sie erwähnen, sind primär nicht auf den stärkeren Beizug von Beratern, sondern eher auf die spezielle Interpretation der Funktion der eingesetzten Berater zurückzuführen, haben doch die Berater dort  praktisch die Führungsrolle übernommen. Die dabei erreichten Resultate haben seinerzeit dem Ruf der Beraterbranche stark geschadet. Es gab viele Geschäftsleitungen, die nicht mehr wagten, die Hilfe von Beratern in Anspruch zu nehmen, da sie Angst hatten, es könnte Ihnen zum Vorwurf gemacht werden. Nun ist aber doch ziemlich viel Gras darüber gewachsen und man schaut generell wieder mehr in die Zukunft.


In den letzten beiden Jahren haben Sie mit der ICME Group wieder eine signifikante Verbesserung der Marktsituation festgestellt. Ist das Kurzzeitgedächtnis der öffentlichen Meinung und der Firmen gegenüber dem Versagen auch der Unternehmensberater so kurz, oder woran liegt der Aufschwung?


Man kann nicht von einem generellen Versagen der Unternehmensberater sprechen. Die ICME hat auch in den schwierigen Zeiten viele erfolgreiche Projekte bei Firmen abwickeln können, bei welchen wir schon früher gearbeitet hatten und die uns somit gut kannten. Die Akquisition von Neukunden war allerdings in dieser Zeit ausserordentlich schwierig. Der Aufschwung der letzten zwei Jahre ist sowohl auf das in den Hintergrund treten der erwähnten Ereignisse, als auch auf die besseren wirtschaftlichen Aussichten zurückzuführen, wobei bei der Mehrheit der Unternehmen sicher auch ein gewisser Nachholbedarf an strategischen und organisatorischen Anpassungen bestand und immer noch besteht.

«Der Mehrwert von Beratern besteht im Beitrag von Know-how, das der Kunde nur von Zeit zu Zeit braucht und es sich somit nicht lohnt, oder auch schwierig ist, es nachhaltig selbst aufzubauen» Gian Saratz, ICME International


Vor allem bei mittelständischen Unternehmen gibt es viele Managementteams und Patrons, die es als Zeichen eigener Unzulänglichkeit auffassen würden, wenn Sie einen Unternehmensberater beiziehen müssten. Wo können Berater einen echten Mehrwert in einem Unternehmen schaffen?


Zunächst ist festzuhalten, dass Chefs oft sehr einsam sind. Dort kann der Berater sehr wertvolle Dienste als Gesprächspartner leisten. Im Übrigen ist es so, dass heute die Mitglieder von Unternehmensleitungen und dem weiteren Kader meistens wesentlich besser ausgebildet sind als vor noch nicht allzu langer Zeit. Dies führt dazu, dass Berater nicht mehr mit einem generellen Unternehmensführungs-Know-how helfen können. Ihr Mehrwert besteht im Beitrag von Know-how, das der Kunde nur von Zeit zu Zeit braucht und es sich somit nicht lohnt, oder auch schwierig ist, es nachhaltig selbst aufzubauen. Ebenso wichtig aber ist die Rolle des aussenstehenden Moderators, der fachkundig helfen kann, die verschiedenen Interessen und Weltbilder der in einem Projekt Beteiligten auf einen Nenner zu bringen. Dies ist eine ganz wichtige Voraussetzung, um dann gemeinsam optimale Lösungen erarbeiten und vor allem auch umsetzen zu können.


Eine der imageschädigenden Unsitten grosser Unternehmensberatungs-Unternehmen war der Einsatz von unerfahrenen Hochschulabgänger zu exorbitanten Stundenansätzen in strategischen Projekten. Wie wählen Sie die passenden Berater für den Einsatz bei Ihren Kunden aus?


Da wir immer sehr eng mit den Kadern des Kunden zusammenarbeiten, teilweise in Einzelgesprächen, teilweise  in kleineren Gruppen oder auch in grösseren Workshops, ist für uns nicht nur das fachliche Wissen unserer Berater wichtig, sondern auch deren Erfahrung und Sozialkompetenz. Nur so kann ein Berater auch menschliche Spannungen überwinden helfen und gegenüber Praktikern bestehen. Aus diesem Grund stellen wir keine Berater frisch ab Hochschule an, sondern setzen eine mehrjährige praktische Erfahrung, möglichst auch in der Linie, voraus.


Berater stehen unter einem hohen Wettbewerbsdruck. Da würde es Sinn machen, bei einem Kunden nach einem erfolgreichen Einsatz möglichst viele Folgeprojekte zu identifizieren und sich durch ein geschicktes Wissensmanagement unentbehrlich zu machen. Wie gehen Sie mit dieser Versuchung um und wie identifizieren Sie im Markt neue Projekte und Einsatzmöglichkeiten?


Durch unsere Arbeitsweise mit dem Kunden übertragen wir im Verlauf des Projekts soviel Know-how wie möglich auf die Leute des Kunden und versuchen, uns am Ende des Projekts in dem Sinn überflüssig zu machen, dass der Kunde das gemeinsam Erarbeitete selbstständig weiter betreiben und weiterentwickeln kann. Dies heisst aber nicht, dass bei diesem Kunden nicht neue Fragestellungen auftauchen, für die er wieder eine Unterstützung sucht. Wenn er im ersten Projekt mit uns zufrieden war, wird er uns sicher auch dann wieder in Betracht ziehen. So erreichen wir, dass wir ca. 75% unserer Projekte bei Firmen abwickeln können, für die wir schon einmal tätig waren. Der Rest ist heutzutage Knochenarbeit, wobei wir verschiedenste Marketinginstrumente einsetzen.


$$PAGE$$


Berater werden vom Kunden mit einer bestimmten, oft auch einer gegenüber den Mitarbeitern nicht kommunizierten Zielsetzung, ins Unternehmen geholt. Was geschieht, wenn Sie während der Arbeit zum Beispiel andere als die vom Auftraggeber «gewünschten» Ursachen für ein Problem entdecken und dann zu anderen als den erhofften Lösungsvorschlägen kommen?


Grundsätzlich fühlen wir uns immer einer Unternehmung und nicht einzelnen Personen einer Unternehmung verpflichtet. Wenn wir zu irgend einem Zeitpunkt zum Schluss kommen, dass das Grundproblem woanders liegt, als von einer Führungskraft oder einem -gremium angenommen, ist es unsere Aufgabe, den Verantwortlichen die Zusammenhänge aufzuzeigen. Dies hat mit dem nötigen Einfühlungsvermögen und der nötigen Geduld zu geschehen, sollen das Verständnis und  die Akzeptanz sichergestellt werden. Man muss die Leute gedanklich immer von dort abholen wo sie sich jeweils befinden. Reine Alibi-Übungen lehnen wir ab und instrumentalisieren lassen wir uns auch nicht.


Immer wieder wechseln Berater nach einem erfolgreichen Projekt auf die Kundenseite, um die operative Umsetzung selbst weiter zu begleiten. Wie häufig geschieht das bei der ICME (Fluktuationsrate)  und wie können Sie solche Abgänge verhindern?


In unseren Projekten  begleiten wir im Normalfall die Umsetzung selber im Sinne einer Fortschrittkontrolle. Dass unsere Mitarbeiter zu Kunden gewechselt haben, ist seit vielen Jahren praktisch nie vorgekommen, da unsere Berater aus eigener Erfahrung wissen, was Linie und was Beratung ist. Die Beratungstätigkeit ist hoch intensiv und sehr hektisch, wenn man sich wirklich als Dienstleister versteht, unsere Tätigkeit ist aber auch sehr interessant und abwechslungsreich. Man muss irgendwie dazu geboren sein. Eine Rückkehr in die Linie kommt eigentlich nur bei jenen Beratern vor, bei denen es sich herausstellt, dass sie sich als Berater weniger eignen.


Die Projekte bei der ICME sind von sehr unterschiedlicher Dauer (drei Monate bis vier Jahre) und sehr unterschiedliche Aufgabenstellungen. Was zeichnet für Sie ein erfolgreiches Projekt aus und können Sie dazu ein Beispiel geben?


Ein einzelnes Projekt sollte im allgemeinen nicht länger als ca. sechs bis neun Monate dauern. Wenn das Vorhaben grösser ist, muss es in Etappen unterteilt werden, nach welchen jedes Mal wieder neue Rahmenbedingungen berücksichtigt werden können, denn  das Umfeld kann sich sehr rasch verändern. Ein Projekt ist dann erfolgreich, wenn die angestrebten Veränderungen erfolgreich umgesetzt sind und gelebt werden. Dabei sind die konzeptionellen Lösungen, sei es im strategischen oder organisatorischen Bereich, wohl sehr wichtig, ebenso wichtig aber ist es aber, dass am Schluss alle Mitarbeitenden in einem Wertschöpfungsprozess wissen, was sie tun müssen und motiviert sind, es zu tun, denn schlussendlich ist es die Summe der einzelnen Menschen, welche die Sachen bewegen. Kurz gefasst können wir mit Erich Kästner sagen: «Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es!»


Nebst den bekannten wiederkehrenden Podiumsgesprächen zu brisanten Themen organisiert die ICME auch so genannte «Privatissima» für unterschiedliche Branchen. Was kann man sich darunter vorstellen und was ist die Zielsetzung einer solchen Veranstaltung?


Zu unseren «Privatissima» zu spezifischen Themen  laden wir so viele Führungspersonen mit einer bestimmten Funktion oder aus einer bestimmten Branche ein, dass wir erwarten können, dass ungefähr fünf bis acht zusagen. Zunächst präsentieren wir ein Exposé über das Thema, dann findet ein Erfahrungsaustausch mit den Teilnehmenden statt. Dies ermöglicht uns, unser Know-how zu zeigen, aber auch zu sehen, wo im Moment die Sorgen der Unternehmen liegen, um so unsere Angebote anpassen zu können.


In Ihrem Experten Netzwerk führen Sie unter anderen auch Think Tools auf, die ja für eines der wenig ruhmreichen Kapitel in der Schweizer Börsengeschichte verantwortlich zeichnen (schneller Aufstieg, tiefer Fall, fragwürdiges Management). Was genau verwenden Sie von Think Tools und welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?


Die Qualität der ThinkTools-Software hat mit den Hochs und Tiefs  der Firma nur insofern etwas zu tun, als die Börse nicht verstanden hatte, dass es sich dabei wohl um ein gutes Instrument, aber nicht um eine Wunderwaffe handelt. Wir setzen das Tool ein, um komplexe, schwer quantifizierbare Zusammenhänge transparenter zu gestalten. Dazu ist ThinkTools sehr geeignet, aber auch hier gilt: «Garbage in, garbage out»!


$$PAGE$$


Durch die Tätigkeit der ICME in der Schweiz, Deutschland und Frankreich gewinnen Sie auch eine Aussensicht auf unseren Schweizer Markt. Wo stehen wir in der Schweiz wirtschaftlich, was läuft gut, wo haben wir den grössten Nachholbedarf und wo können wir in Zukunft besonders erfolgreich sein?


Die Schweiz ist im Dienstleistungs- und auch im Know-how-intensiveren Industriebereich in der Aussenwirtschaft sehr leistungsfähig. Dies liegt einerseits an der Produktivität und Flexibilität der stark exportorientierten Firmen, aber insbesondere auch an der Dienstleistungsorientierung, die für jede Branche zunehmend wichtig ist. Eine besondere Stärke der Schweiz ist in diesem Zusammenhang auch der Umgang mit diversen Sprachen und Mentalitäten. Alle diese Stärken können und müssen in Zukunft mit einem leistungsfähigen Ausbildungssystem noch gefördert werden.

Binnenwirtschaftlich haben wir immer noch viele geschützte Märkte, die verhindert haben, dass wir unsere Leistungsfähigkeit in diesen Bereichen wesentlich verbessern mussten. Hier wird es noch einen grossen Nachholbedarf mit schmerzhaften Strukturveränderungen geben.


In Ihrer Firmendokumentation befindet sich der bemerkenswerte Satz «Wer nicht über seine Zukunft nachdenkt, wird keine haben». Welche Zukunft denken Sie sich für die ICME, welche konkreten Ziele setzen Sie sich und wie wollen Sie dorthin kommen?


Unsere Vision ist, in unseren gewählten Märkten zu einer anerkannten europäischen Alternative zu den grossen Unternehmensberatungen zu werden. Erreichen wollen wir dieses Ziel vor allem dank einer Differenzierung mit unserer oben beschriebenen Beratungsphilosophie und über zufriedene Kunden.


Zum Schluss des Interviews haben Sie noch zwei Wünsche frei. Wie sehen diese aus?


In den letzten Jahren nimmt das kurzfristige Denken immer mehr Überhand. Das Streben nach möglichst viel schnellem Gewinn beeinträchtigt oft die strategische Sicht, sodass viele Unternehmen, die operativ noch gut verdienen, strategisch bereits tief rot sind, ohne dass sie es merken. Da wünschte ich mir etwas mehr Weitsicht in der Wirtschaft, aber auch in der Politik.
Im menschlichen Zusammenleben und -arbeiten  wünschte ich mir etwas mehr konstruktive Kommunikation, menschlichen Respekt und Toleranz, denn die meisten Konflikte beruhen auf Vorurteile und Missverständnisse!





Gian Saratz
Geboren 21.März 1944 in Pontresina, CH
Sprachen:  Romanisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch

Ausbildung:
– 1964 Matura B, Lyceum Alpinum, Zuoz
– 1971 Dipl. Physiker ETH, Zürich


Berufliche Erfahrung
– Seit 1982 ICME International AG, Zürich, Berater für Strategie und Organisation
– Seit 1989 Partner, seit 2002 VR-Präsident der ICME-Gruppe
– 1979 – 1982 Betriebswissenschaftliches Inst. der ETH, Zürich, Berater für Organisation und Informatik. Ab 1.1.81 stellvertretender Abteilungsleiter Informatikberatung
– 1977 – 1978 Winzeler & Partners, Unternehmensberatung, Zürich, Berater in Industrie, Handel und Gewerbe.
– 1975 – 1976 Ciba-Geigy Saudi Arabien, Finanz- und Administrationsleiter
– 1974 – 1975 Ciba-Geigy AG, Basel, Assistent des Finanzleiters Stammhaus, Holding- und Finanzgesellschaften.
– 1972 – 1973 Schweiz. Bankgesellschaft, Zürich, Finanzanalyst: Analyse von in- und ausländischen Gesellschaften.
– 1971 – 1972 Elektrowatt Ing. Unternehmung AG, Zürich, Operations Research, Computergestützte Simulationen und Optimierungen.


Ausserberufliches:
seit 1986 Mitglied Rotary Uster, 2005/06 Präsident
seit 1990 VR Hotel Saratz AG 
seit 1994 VR-Präsident Arosa Kulm Hotel, Arosa
seit 1999 Vorstandsmitglied Golf- & Country Club Hittnau und VR Witerra Golfland AG
Schweizerische Vereinigung der Unternehmensberater (ASCO), 1990-1996 Vorstandsmitglied,1994-96 Präsident
Schweizerischen Managementgesellschaft, 1992-2000 Mitglied des Vorstandsauschusses
Mitglied des St. Moritz Tobogganing Clubs (Vorstandsmitglied 1981-1991)

ICME
wurde in Zürich als eine der ersten Unternehmensberatungen in Europa gegründet. Das Kerngeschäft der ICME ist es, gemeinsam mit dem Kunden Veränderungsstrategien umzusetzen. Internationale Partnerschaft mit Büros in Frankfurt, Lausanne, München, Paris und Zürich. Rund 50 praxiserfahrene Berater bauen auf einem Erfahrungsschatz von mehr als 2500 Projekten in einem weiten Spektrum von Branchen. Die ICME Berater verfügen über 10 Jahre Berufserfahrung in der Linie und in der Beratung – sie haben strategische und operative Managementerfahrung. Die Kunden sind gleichermassen grosse wie auch mittelständische Unternehmen. www.icme-group.com




Dieses Interview entstand mit Unterstützung von:



Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert