Neue Wege in der Lehrlingsausbildung


Fit und marktfähig erwirtschaftet das Unternehmen «Lernzentren LfW» Jahresumsätze von 27 Millionen Franken. Das Herausragende: Es tut dies in einer Sparte, die seit langem im selben Atemzug wie Wirtschaftsflaute, Misere und Arbeitslosigkeit genannt wird – dem Schweizer Lehrlingswesen.


Lehrlinge: Unternehmer vom ersten Tag an.
Eine Erfolgsgeschichte, die überall Sympathien und Anerkennung erntet. Alles begann 1996, als die ABB den Bereich der Lehrlingsausbildung auslagerte. Die erstrebte Kostenreduktion liess sich mit dieser Massnahme schnell verwirklichen. Als weiterer Vorteil erwies sich die Unabhängigkeit der Lehrstellen von den konjunkturellen und firmeninternen Schwankungen. Gründe genug, das Unternehmen Lernzentren LfW (Lehrlinge für Wirtschaft) – ein Verein, der heute aus vier Kernmitgliedern (ABB, ALSTOM, Bombardier und Leica Geosystems) und 66 mittleren oder Kleinfirmen besteht – zu gründen. Die Ausbildungsstätten befinden sich in Baden, Birr, Pratteln, Rheintal und Zürich. Bereits jetzt sind die Lernzentren mit 950 Lehrlingen die grössten Ausbilder in der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie.

Fähigkeitsausweis für das Leben
Wie also funktioniert diese firmenexterne Ausbildung? Am Anfang steht eine pädagogische Leitidee. Lernzentren CEO Andreas Rüegg umschreibt dieses Credo wie folgt: «Die Jugendlichen sollen beim Lehrabschluss mehr als ein Zertifikat in den Händen halten. Wir haben unser Soll erfüllt, wenn sie zu eigenverantwortlichen «Lebensunternehmern» herangewachsen sind, gut gewappnet für den teilweise widrigen Arbeitsmarkt.» Gleich zu Beginn der Ausbildung absolvieren die Jugendlichen ein Seminar, in dem sie lernen zu lernen. Dass sie selbstständig lernen können, ist wichtig, denn sie werden im Laufe der Ausbildung ein breites Basiswissen vermittelt erhalten – auch hier orientiert sich der Leitgedanke an der unbeschönigten Wirtschaftslage. Mit beruflichen Umorientierungen muss heute gerechnet werden, und darauf sollen die Lehrlinge gegebenenfalls auch vorbereitet sein. Je breiter das Grundwissen angelegt ist, desto leichter fällt eine berufliche Neuorientierung später. Eigenverantwortung wird während der ganzen Ausbildungszeit in hohem Masse verlangt – das merken die Jugendlichen spätestens, wenn sie gleich zu Beginn ihrer Lehre ins kalte Wasser geworfen werden und als Jungunternehmer bestehen müssen.

Unternehmer von Tag 1 an
Jeweils 25 Lehrlinge «gründen» beim Lehranfang zusammen ein kleines Unternehmen. In Eigenregie müssen sie Kundenaufträge akquirieren, Offerten schreiben, die Aufträge abarbeiten und am Ende Rechnungen stellen. Die Echtheit der Aufträge bewirkt eine hohe Motivation, und mit guter Arbeit kommt die Kundenzufriedenheit – dieLernenden erwirtschaften 20 Prozent des Umsatzes, also 5 Millionen Franken, selbst. Während der Lehre stehen die Ausbilder stets als Coachs zur Verfügung und können so die Jugendlichen gezielt unterstützen und fördern. Die Fortschrittskontrolle erfolgt über Lernzielkataloge, deren Erreichen am Ende der Grundausbildung mit einer Prüfung getestet wird. Diese lebensnahe Ausbildung hat auch für Besucher überraschende Effekte: So wird das Sekretariat von KV-Lehrlingen gemanagt, und gewünschte Rundgänge werden ebenfalls ausschliesslich von den Jugendlichen geführt.

Zeit für die Wanderschaft
Nach der Grundausbildung stossen die Lehrlinge zu den Mitgliederfirmen. Ein ganz gewichtiger Vorteil bieten die Lernzentren für Betriebe, die eigentlich kein genügend breites Spektrum haben, um eine ganze Lehrlingsausbildung abzudecken. Die Lehrlinge werden dort für eine gewisse Zeit eingesetzt, um den firmenspezifischen Tätigkeitsbereich zu erlernen. So können sich die Lernenden ihre Bausteine in diversen Unternehmen aneignen und haben am Ende ihrer Ausbildung alles Know-how zusammen. Ein immenser Vorteil für Firmen sieht CEO Rüegg auch in der Flexibilität: «Wir sind in stetem Kontakt mit den Mitgliedsfirmen, kennen die Bedürfnisse und können schnell auf wirtschaftliche Veränderungen reagieren.» Auf diese Weise werden die Jugendlichen entsprechend ihren fachlichen und persönlichen Stärken und Neigungen in die passenden Firmen entsandt. Sogar neue Berufsbilder entstehen aufgrund von Bedürfnissen, beispielsweise die des Polymechanikers oder des Automatikers. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

Die Finanzierung im Griff
Die Finanzierung über die Mitgliedfirmen läuft folgendermassen ab: Grossfirmen – mit über 30 Mitarbeitenden – zahlen eine Pauschale für die Grundausbildung der Lehrlinge und können dafür von den tiefen Kosten während der Einsatzzeit im Betrieb profitieren. Die Kleinunternehmen zahlen nichts im Voraus, dafür kommt sie der Einsatz der Lehrlinge in ihrem Betrieb teurer. Die Grundausbildungskosten pro Lehrling konnten in den letzen Jahren trotz zunehmender technischer Komplexität um einen Drittel gesenkt werden. Dank Erfolg und Innovation wurden die Lernzentren im Februar mit dem Esprix Award für Excellence ausgezeichnet.

Das Modell macht Schule
Ende 2004 waren gemäss Bundesamt für Statistik 45’000 Jugendliche in der Schweiz ohne Arbeit. Eine Problematik, an deren Entschärfung Politik und Wirtschaft intensiv arbeiten. Lösungen, die es vermögen, die Lehrstellenanzahl aufzustocken und gleichzeitig rentabel zu bleiben, werden mit grossem Interesse verfolgt. Das Konzept der Lernzentren hat denn auch schon Nachahmer gefunden. Die Lernzentren LfW standen bereits Pate für den Nordwestschweizer Chemieverbund «Aprentas» und für «login», den Verbund des öffentlichen Verkehrs.

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