Meret Schneider: Oh du fröhliches Weihnachtsmahl – das Schlachtfeld konstruktiv bestellen

Meret Schneider: Oh du fröhliches Weihnachtsmahl – das Schlachtfeld konstruktiv bestellen
Meret Schneider, Nationalrätin von 2019 bis 2023, Grüne Schweiz. (Bild: parlament.ch)

Alle Jahre wieder versammeln sich Freunde und Familie am gedeckten Tisch – ob christlich oder säkular, ein Grossteil der Menschen geniesst zu Weihnachten ein gemütliches Mahl im Kreise der Lieben, die man übers Jahr viel zu selten sieht. Und wenngleich Verwandtschaft nicht gewählt werden kann, so passt hier der Begriff “Wahlverwandtschaft”, der nicht nur von Goethe, sondern auch aus der Chemie bekannt ist, wo er das anziehende und abstossende Verhalten von chemischen Verbindungen beschreibt, ausserordentlich gut.

Es treffen unterschiedlichste Elemente aufeinander, sich anziehende und abstossende. Welche, die sich verbinden und andere, die zu Explosionen führen, die Energien freisetzen und Reaktionen provozieren, mit denen niemand gerechnet hätte. Ein Element, das als richtiger Katalysator solcher Prozesse fungiert, ist im Zuge der zunehmenden Relevanz der Ernährung als Säule des persönlichen Wertegebäudes und der politischen Haltung immer stärker auch das Weihnachtsessen. Während sich früher die Debatten maximal um die richtige Zubereitung der Duxelles im Filet Wellington oder die Frage, ob die Tartaresauce zum Roastbeef von Schwiegertocher oder Schwiegermutter die Oberhand behalten sollte, drehten, so gehen die Gespräche heute wesentlich tiefer.

Die Ernährung, so viel ist unbestritten, trägt mit einem grossen Anteil zum persönlichen CO2-Fussabdruck bei und hat einen wesentlichen Einfluss auf den Klimawandel. Völlig klar ist auch, dass wir in der Schweiz dreimal so viel Fleisch essen, wie aus Ressourcen- und gesundheitlichen Gründen vertretbar und eine generelle Reduktion der Tierprodukte ein wichtiger Beitrag zu einer standortgerechten Landwirtschaft und der Ausbremsen des Klimawandels leistet. Gerade von der jüngeren Generation und insbesondere von Menschen in meinem Umfeld wird bereits im Vorfeld beklagt, wie Fleisch- und Tierprodukte lastig  die Weihnachtsmenüs ausfallen und mit welchen Argumenten man dieses Jahr dem grosselterlichen Chinoise oder dem schwiegermütterlichen Filet im Teig begegnen werde.

Und ich entgegne stets dasselbe: idealerweise gar nicht. Klar, niemand soll dazu genötigt werden, Tierprodukte zu konsumieren – klar sollten für die jüngere Generation Alternativen bereitgestellt werden oder zumindest die Bereitschaft herrschen, etwas Entsprechendes anzubieten. Optimalerweise bringt man als pflanzenbasiert essende Person selber Inputs, bringt vielleicht ein Dessert mit oder macht Vorschläge, die auch von anderen mit Genuss probiert werden können, ohne mit der Moralkeule auf die ohnehin schon tote Gans einzudreschen, die Oma so am Herzen liegt. Ich entgegne dies nicht primär, um der guten Stimmung am Weihnachtstisch keinen Abbruch zu tun und auch nicht, weil ich als ebenfalls sehr traditioneller Mensch grosses Verständnis für eine ältere Generation habe, die an diesen Traditionen hängt und mit ganz anderen Werthaltungen was Tiere betrifft aufgewachsen ist.

Ich entgegne dies, weil genau diese Diskussionen der Sache abträglich sind und für Reaktanz- und Abwehrreaktionen sorgen. Das Zusammenkommen der Verwandtschaft aus allen Branchen und mit allen Hintergründen bietet oft Sprengstoff genug; das Weihnachtsmenü sollte da keinesfalls zum Schlachtfeld verkommen, insbesondere in einer aktuell aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung, was pflanzenbasierte Ernährung betrifft.

Wir befinden uns in einem medial und politisch befeuerten Klima des Kulturkampfes, in dem eine sich scheinbar moralisch überlegen fühlende Gruppe den gutbürgerlichen, bodenständigen Bürgern die Bratwurst vom Teller wegverbieten will – ein Szenario, das mit der Realität wenig gemein hat, sich aber politisch hervorragend instrumentalisieren lässt. Indem wir nun am gedeckten Tisch auf die Frage, warum wir kein Fleisch essen, auf die Problematik des hohen Fleischkonsums hinweisen und die Klimaerwärmung ins Feld führen, giessen wir Wasser auf genau diese Mühlen und zementieren das Bild der moralinsauren Umweltschützenden.

Die Wenigsten reagieren mit der Chinoisegabel in der Brühe offen auf Argumente zu Tierleid und Klimaschutz, die kognitive Dissonanz ist zu gross und die Reaktion fällt abwehrend und aversiv aus. An Weihnachten will man einfach nur geniessen, die Probleme der Welt vielleicht für einen Abend ausblenden und sich in einen wohligen Kokon aus positiven Gefühlen hüllen, vielleicht in Erinnerungen schwelgen und keinesfalls die rhetorischen Klingen kreuzen – zu Recht.

Zwar tut auch mir der Gang durch den Supermarkt alle Jahre wieder weh, wenn ich die Mengen an importierten Edelstücken im Teig und Hummer in der Gefriertruhe sehe, aber wir erreichen die Menschen nicht mit negativen Szenarien und Verzichtsmentalität – nicht in einer Saison, in der die Opulenz gefeiert wird. Ich habe mir daher eine Strategie zurecht gelegt, mit der ich stets Erfolge verzeichne und mit der ich schon viele Menschen im nahen und fernen Umfeld für pflanzliche und klimaschonende Ernährung begeistern konnte. Sie ist so simpel, dass ich mich ob der Banalität fast schäme, aber die Tatsache, dass sie von Veganer*innen so selten angewandt wird, lässt sie mich trotzdem ausführen: Sie lautet positive Kommunikation und Menschenfreundlichkeit.

Wann immer ich in Fest- oder Essenskontexten auf die pflanzliche Ernährung angesprochen werde, führe ich positive Beispiele klimaschonender Ernährung ins Feld, die den gerade Fleisch essenden Menschen nicht brüskieren. Sei es die lokale Metzgerei, die jetzt auch pflanzliches Fondue Chinoise anbietet, der lokale Bauer, der mit den Kichererbsen vom Hof eigenen Humus produziert oder seien es Inputs, wie die Fleisch essende Person einen Beitrag leisten kann, ohne sich direkt von der Bratwurst in der Hand zu verabschieden.

Beispiele hierfür habe ich kürzlich einem Agrarmagazin entnommen und freue mich bereits selber darauf, vermehrt darauf zurückzugreifen: es handelt sich um klimaresistentere Pseudogetreidesorten. Die Rispenhirse beispielsweise oder das Sorghum könnten zukunftsweisende Kulturpflanzen werden, da zwischen Saat und Ernte nur 90 Tage oder weniger vergehen und daher die Gefahr, Wetterextremen zum Opfer zu fallen, verringert wird. Auch Buchweizen, Lupinen oder der im Herbst gesäte Winterhafer haben grosses Potenzial und könnten einen wichtigen Beitrag zu einer klimagerechten Landwirtschaft leisten, die ackerfähige Flächen konsequent für Nahrung für den Menschen nutzt.

Die Bereitschaft zum Anbau und die Motivation wäre vorhanden, nur der Absatz beschränkt aktuell den Anbau, da Konsumierende den Wert dieser Sorten noch nicht kennen- und schätzen gelernt haben. Warum also in einem Gespräch über Klima und Ernährung nicht einmal eine komplett andere Abzweigung nehmen und auf spannende alte Sorten und deren Potenzial zu sprechen kommen mit der Aufforderung, dies unbedingt einmal auszuprobieren – sei es ein Hirseporridge oder ein Buchweizenpfannkuchen, die Möglichkeiten sind mannigfaltig. Damit – so meine Erfahrung – gewinnt man die Menschen und holt sie da ab, wo sie stehen, denn einen Beitrag leisten möchten die meisten. Und wer damit beginnt, sein Verhalten und die Konsequenzen in einem kleinen Bereich zu überdenken, hat eine höhere Bereitschaft, dies auch in einem weiteren Bereich zu tun. Und wer bereit ist, einen ersten Schritt zu machen, geht oft auch einen zweiten auf diesem Weg. Ich mag Menschen und ich möchte den Weg mit ihnen gemeinsam gehen, statt die Narrative des Gegeneinanders und Wegnehmens zu befeuern.


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