Profit oder Pleite: In der Pandemie öffnet sich die Schere zwischen arm und reich weiter

Profit oder Pleite: In der Pandemie öffnet sich die Schere zwischen arm und reich weiter

Während sich Grossaktionäre und Besitzerfamilien auch in der Pandemie über grosszügige Dividenden freuen dürfen, obschon die Unternehmen gleichzeitig mit Staatsgeldern (Kurzarbeitsgelder, «a fonds perdu»-Zahlungen) unterstützt werden müssen, haben Kleinbetriebe und Einzelunternehmen oft nur noch die Wahl zwischen Pleite oder Gesetzesbruch.

Von Helmuth Fuchs

Die ersten sonnigen Frühlingstage des Jahres locken Wanderer und Fahrradfahrer wieder in die Voralpen. Der Schnee zieht sich auf Inselbestände zurück, dazwischen blühen die Vorboten des Frühling: Gänse- und Schlüsselblumen, Huflattich und Hahnenfuss.

Wo sich sonst vor allem Gäste aus der nahen Stadt und der Agglomeration bei einem erfrischenden Getränk, selbst gemachten Kuchen, Suppen und Gerichten mit Produkten vom eigenen Hof auf der einladenden Terrasse stärken, ist per Gesetz aktuell keine Bewirtung oder Verpflegung der Gäste möglich. Genauer: wäre. Das Bauernpaar, welche die Wirtschaft nebst dem landwirtschaftlichen Hof zu zweit betreibt, kann sich die Einhaltung der Vorgaben schlicht nicht leisten. Das Ehepaar steht vor der Entscheidung: Gesetzesbruch oder Pleite.

Viel Unterstützung für die Grossen, viele Hindernisse für die Kleinen
Der Bundesrat und die Kantonsregierungen betonen zwar, dass die Mittel vorhanden seien und unbürokratisch und schnell geholfen werde. Das stimmt zwar, vor allem bei Grossbetrieben, die sich, wie im Medienbereich zum Beispiel der Tagesanzeiger oder die NZZ, umgehend bei den Versicherungsgeldern für Kurzarbeit bedienten, um so, zumindest vorübergehend, Entlassungen zu vermeiden. Für viele Klein- und Kleinstbetriebe und Einzelunternehmen jedoch sieht die Situation völlig anders aus.

Wie unterschiedlich sich die Pandemie für Reiche und Arme auswirkt, hat auch die KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH in ihrer Analyse «Corona und Ungleichheit in der Schweiz» aufgezeigt.

Dem Bauern- und Wirtepaar wurde auf ihren Antrag hin beschieden, dass sie den Verlust aus dem Restaurationsbetrieb (ca. 30% der Gesamteinnahmen) ja mit der Landwirtschaft auffangen könnten. Dass der Restaurationsbetrieb gerade im Winter und Frühjahr den grösseren Teil des Einkommens darstellt, scheint in den Beamtenstuben keine Relevanz zu haben. Die Landwirtschaft wie auch die Restauration sind bekanntlich Unternehmensbereiche mit tiefen Margen. Die geringe Grösse der meisten Betriebe, vor allem wie im vorliegenden Fall eines voralpinen Biobetriebes, erlaubt Familien ein sicheres Überleben bei viel Arbeit, Engagement und ständigem Ausloten neuer Möglichkeiten. Was kaum möglich ist: Ansparen grosser Reserven. In den letzten Jahren wurden Hof und Wohngebäude (in dem sich auch der Restaurationsbetrieb befindet) sorgfältig und umfassend saniert. Die Verschuldung wurde mit vorsichtig optimistischem Szenario im Hinblick auf die Zukunft noch vor Corona eingegangen.

Das oft gehörte Argument, dass sich solche Betriebe ja über einen zusätzlichen Kredit weiter verschulden könnten, würde das Problem nur verschieben und verschärfen, falls der Kredit überhaupt gewährt würde.

Unterschiedliche Umsetzung in den Kantonen
Die Auswirkungen des bundesrätlichen Massnahmenkatalogs, zusammen mit der nur schleppenden, in diesem Fall gänzlich verweigerten, Auszahlung bringt viele ähnliche Unternehmen an den Rand des Ruins. Die lokalen Behörden setzen die Vorgaben des Bundes je nach finanzieller Situation des Kantons und der Gemeinde sehr unterschiedlich um. Wo das Geld eh schon knapp ist, werden Auszahlungen möglichst blockiert oder verhindert. Im Gegensatz zu grossen Unternehmen, die für solche Fälle Abteilungen mit eigenen Juristen, Buchaltern und Treuhändern haben, welche Druck machen und die Forderung nach Aufbereitung zusätzlicher Zahlen und Unterlagen problemlos erfüllen können, bedeutet das für kleine Betriebe Stunden von Mehrarbeit, zusätzliche signifikante Mehrkosten, zunehmende Verzweiflung im Kampf um das wirtschaftliche Überleben.

Virus problemlos überstanden, wirtschaftlich existentiell bedroht
Durch die Massnahmen und Beschlüsse des Bundesrates wurde für die Familie ein handhabbares Gesundheitsproblem zu einer wirtschaftlich existentiellen Bedrohung. Das Ehepaar wurden Ende letzten Jahres positiv auf Corona getestet, beide hatten ähnliche Symptome (Fieber, Husten, Durchfall). Für beide stellte dies kein grosses Problem dar, da vor allem der Ehemann regelmässig an der saisonalen Grippe erkrankt und diese dann zuhause auskuriert. Auch mit dem Coronavirus, das wahrscheinlich von den Kindern aus der Schule auf den Hof mitgebracht wurde (auch die Kinder testeten positiv, jedoch ohne oder nur mit milden Symptomen), wurde der Alltag der Familie nicht stark eingeschränkt. Sie isolierten sich auf dem eigenen Betrieb, erledigten Arbeiten, die keinen Aussenkontakt bedingten. Der ebenfalls auf dem Hof lebende Vater des Bauern zeigte als einziger keine Symptome und testete negativ.

Existenzbedrohend sind hingegen die Massnahmen des Bundes (Schliessung des Restaurationsbetriebes, Verbot des Öffnens der Aussenterrasse) und die schleppende Umsetzung oder Verweigerung der Unterstützungsmassnahmen.

Wirtschaftliche Situation
In der Schweiz waren im Februar 2021 knapp 260’000 Personen als arbeitslos gemeldet, was einem Anstieg von 50’000 Personen gegenüber demselben Monat im 2020 entspricht.

Im Februar 2021 gab es 835’000 bewilligte Kurzarbeitsanträge für ArbeitnehmerInnen, was etwa 17% der Beschäftigten in der Schweiz entspricht (Höchststand April 2020 mit 1,3 Millionen Personen in Kurzarbeit, einem Viertel der Beschäftigten in der Schweiz).

Alleine für die Kurzarbeit hat der Bund zwischen Januar 2020 bis im Februar 2021 zehn Milliarden Franken zusätzlich investiert.

«Die Krise hat mehr als 50’000 zusätzliche Arbeitslose und 67’000 Stellensuchende generiert, und ehemals Erwerbstätige haben sich vom Arbeitsmarkt zurückgezogen.

Vor allem Jugendliche trifft die Krise hart: Sie haben Mühe, im Arbeitsmarkt Tritt zu fassen, und bei vielen Lernenden hat die berufliche Ausbildung gelitten. Vom Lockdown überdurchschnittlich in Mitleidenschaft gezogen worden ist zudem das Tieflohnsegment im Detailhandel, Tourismus und Gastgewerbe. Vor allem am untersten Ende der Lohnskala dürfte die Ungleichheit zunehmen, falls der Aufschwung ausbleiben sollte und viele Jobs definitiv verloren gehen.»

NZZ, «Ein Jahr Corona – eine Bilanz der wirtschaftlichen Schäden und wie es weitergeht», 27.02.2021

Gesundheitliche Situation
Bei den über 80-Jährigen gab es 2020 eine signifikante Übersterblichkeit im Vergleich der Jahre 2015-2019. In der Altersgruppe der 65-79-Jährigen war die Sterblichkeit im Vergleich der letzten fünf Jahre ebenfalls höher und entsprach derjenigen des Jahres 2015. In allen anderen Altersgruppen war die Sterblichkeit im Vergleich zu den letzten fünf Jahre leicht geringer.

Aktuell haben wir bei den über 65-Jährigen eine signifikante Untersterblichkeit. In allen anderen Altersgruppe ist die Sterblichkeit am unteren Rand der erwarteteten Sterblichkeit.

Der Altersmedian der Verstorbenen liegt bei 82 Jahren, 54% sind Männer, 46% Frauen. 97% litten an einer oder mehreren Vorerkrankungen. 

Die Spitäler kamen in der zweiten Welle im Oktober und November an die Grenzen der verfügbaren Intensivpflegeplätze und der Belastbarkeit des Personals, nachdem in der ersten Welle wegen dem Verbot geplanter Eingriffe und dem Ausbleiben der erwarteten Welle das Personal teilweise in Kurzarbeit geschickt werden musste. Inzwischen ist die Belegung auf den Intensivpflegeplätzen und bei den normalen Spitalbetten gesamthaft eher unterdurchschnittlich. COVID-PatientInnen haben bei den Normalbetten-Belegung einen Anteil von 4.1%, bei den Intensiv-Pflegeplätzen einen Anteil von 17.3%.


Zum Schutz der betroffenen Personen sind die Angaben allgemein gehalten und die verwendeten Bilder stammen nicht aus der Umgebung des genannten Restaurationsbetriebes.



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