Bundesrat in der anhaltenden Coronakrise: Plan-, ziel- und hoffnungslos

Bundesrat in der anhaltenden Coronakrise: Plan-, ziel- und hoffnungslos
Bundesrat Alain Berset (SP), Vorsteher des Eidgenössischen Departements des Innern EDI (Bild: Screenshot einer Pressekonferenz)

Waren das Maskendebakel und das Datenchaos in der ersten Phase noch entschuldbar mit fehlender Erfahrung, die Spitze der zweiten Welle mit den Eigenheiten der föderalen Entscheidungsbefugnisse und dem Scheitern einiger Kantone, wirkt der Bundesrat aktuell ohne jegliche Vorstellung, wir er aktiv dazu beitragen könnte, die Krise zu bewältigen. Vielmehr wirkt er selbst coronamüde und schafft es nicht, einen evidenzbasierten Weg aus dem Shutdown aufzuzeigen.

Von Helmuth Fuchs

Die letzte Pressekonferenz des Bundesrates liess die meisten ratlos zurück. Erleichterungen im Februar? No way, José. Hoffnung für den März? Njet, wenn sich etwas bewegt, dann höchstens in Richtung Verschärfung, ihr wisst schon B.1.1.7.

Dass im Hinblick auf die Ausbreitung einer potentiell aggressiveren Variante (B.1.1.7) keine Lockerungen eingeführt werden, ist aus epidemiologischer Sicht verständlich. Unverständlich ist jedoch, dass der Bundesrat überhaupt keinen Plan hat, wie er aus dem Coronaschlamassel überhaupt je wieder herauskommen möchte und aufgrund welcher wissenschaftlicher Erkenntnisse er seine Entscheidungen fällt.

Das Gesundheitssystem hat standgehalten
Dazu noch einmal zum wichtigsten Grund, weshalb der Bundesrat sich der aussergewöhnlichen Lage ausserordentliche Rechte genommen und die Rechte der Bevölkerung im selben Masse eingeschränkt hat: Der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Schutz des Gesundheitssystems vor einem Zusammenbruch (was wiederum die Gesundheit der Bevölkerung massiv gefährdet hätte).

Das ist in der ersten Phase beim Gesundheitssystems fast zu gut gelungen (Kurzarbeit für einen Teil des Gesundheitspersonals, Forderung der Spitäler, die entgangenen Geschäfte mit 2.6 Milliarden Franken zu vergüten), in der zweiten Phase kamen einige Spitäler an ihre Kapazitätsgrenzen, die zertifizierten Intensivpflegeplätze waren kurzzeitig nahe an der 100%-Auslastung, die Todesfallzahlen vor allem bei den über 80-Jährigen stiegen massiv an.

Nach der Spitze im Oktober hat sich die Situation im Gesundheitswesen wieder normalisiert, die Auslastung der Spitalinfrastruktur durch Coronapatienten stellt kein Problem mehr dar, Reserve-Intensivpflegeplätze für Coronapatienten sind kein Thema mehr. Lag der Anteil der Coroanpatienten auf den Intensivplätzen Mitte November bei fast 48% ist dieser aktuell auf 27% zurück gegangen.

Keine fundamentale gesundheitliche Bedrohung der Gesamtbevölkerung
Zu Beginn der Pandemie hat der Bundesrat immer wieder betont, dass die Gesundheit der Bevölkerung das höchste Gut sei. Das stimmt insofern, dass jeder, der krank ist, weiss, dass alles andere sekundär wird, wenn eine akute Krankheit sein Leben bedroht. Sobald aber die akute Phase vorbei und das Leben nicht mehr bedroht ist, gewinnen andere Werte wieder an Bedeutung. Zum Beispiel die persönliche Freiheit, das soziale und kulturelle Leben, die Möglichkeit, seinen eigenen Lebensentwurf zu verwirklichen.

Wessen Leben ist also durch das Virus akut bedroht? Hier lohnt sich ein Blick in die Struktur der Todesfälle. Eine Bedrohung ist das Virus vor allem für Menschen, die über 65 Jahre alt sind und deren Immunsystem zusätzlich noch geschwächt ist. Wirklich lebensbedrohlich ist das Virus in der Altersgruppe der über 80-Jährigen.

Die überdurchschnittliche Anzahl der Todesfälle im 2020 (76’526 Todesfälle bei einer Bevölkerung von ca. 8.85 Millionen Menschen, was 10% über dem Durchschnitt der letzten 5 Jahre liegt), ist vor allem bei den im Vergleich höheren Todesfallzahlen der über 65-Jährigen zu finden. In der Alterskategorie 65-79 Jahre liegt diese bei 11%, bei den über 80-Jährigen bei 16%.

Berücksichtigt man die Grösse dieser Altersgruppen ist es so, dass bei den 65-79-Jährigen der Anteil der Todesfälle 2020 bei 1.60 % lag, im 2015 bei 1.59 %, bei den über 80-Jährigen im 2020 bei 10.59 %, 2015 bei 10.15 %. Das heisst, im Vergleich zu einem starken Grippejahr ist die überdurchschnittliche Sterblichkeit vor allem bei den über 80-Jährigen signifikant, bei den 65-79-Jährigen praktisch gleich. Bei allen anderen Altersgruppen besteht eine gleiche oder sogar unterdurchschnittliche Sterblichkeit im Vergleich zu den letzten fünf Jahren.

Das relativiert in keiner Weise die tragischen Einzelschicksale, ist aber eben auch nicht die fundamentale Bedrohung für die Gesundheit der gesamten Bevölkerung, als welche das Coronavirus auch «dank» der Presse wahrgenommen wird und welche alle noch so einschneidenden Massnahmen rechtfertigen würde.

«Long Covid»
Vor allem bei schweren Fällen zeigt sich auch bei Menschen die jünger als 65 sind und zuvor keine ersichtlichen Krankheiten hatten, dass der Weg zurück mühsam und langwierig sein kann. Das an sich ist keine neue Erkenntnis, sondern war zuvor schon bei schweren Lungenentzündungen festgestellt worden, deren vollkommene Heilung auch bis zu einem Jahr oder mehr dauern konnte. Bei Menschen, deren gesamtes Organsystem durch das Coronavirus angegriffen wurde, wird die Genesung ein langwieriger Prozess sein.

Erst langsam soll hier auch sprachlich Klarheit geschaffen werden. Die US Centers for Disease Control and Prevention (CDC) schlagen jetzt vor, die „akute“ COVID-19-Erkrankung zunächst von einem – eher seltenen – postakuten hyperinflammatorischen Status oder dem multisystemischen inflammatorischen Syndrom (MIS) zu trennen. Wenn jetzt Telefonumfragen oder Facebook-Erhebungen bei zuvor Erkrankten als «Studie» präsentiert werden, dass «Long Covid» eine Bedrohung für praktische alle sei, ist dies höchstens für eine wachsende Industrie von Anbietern für Rehabilitationsmassnahmen relevant, trägt aber nicht zu einer adäquaten Information der Bevölkerung bei.

Medizinisch ist sowohl der Zeitraum der Beobachtung zu kurz, noch sind genaue Untersuchungen vorhanden, wie viele Menschen wirklich an lang anhaltenden Folgen von COVID19 leiden.

Die «Gesundheit der Bevölkerung» ist durch die Massnahmen ebenso bedroht wie durch das Virus selbst
Nebst den direkten Folgen des Viruses mehren sich die Anzeichen, dass die Massnahmen Schäden für die Gesundheit der Bevölkerung nach sich ziehen. Die psychischen Probleme bei Jugendlichen und Alten nehmen zu, ebenso die Gewalt an Kindern in durch Home Office gestresste Familien. Frauen tragen meistens die grössere Last im Home Office und im Fernunterricht der Kinder und kompromittieren ihre beruflichen Aufstiegschancen damit zusätzlich.

«Corona wird die Polarisierung verschärfen. Die Ärmeren werden jetzt härter getroffen als die Gutsituierten. Eine Professorin kann fürs Homeschooling jedem ihrer Kinder einen Laptop kaufen. Eine mittellose Familie hat vielleicht nur das Smartphone des Vaters. Und jetzt kümmern sich vor allem wieder die Frauen um die Kinder, die Männer arbeiten eher normal weiter. Die Frauen werden auf dem Arbeitsmarkt einen Rückschlag erfahren.» Thomas Straubhaar im Blick-Interview vom 02.02.2021

Auch der an sich erfolgreiche Fernunterricht vergrössert den Graben zwischen guten und schlechten Schülerinnen und StudentInnen, wie die HSG festgestellt hat.

Zunehmend mehren sich die Stimmen, welche ein differenziertes Vorgehen als die breiten Shut- und Lockdowns in JoJo-Bewegungen fordern. Genau hier wäre der Bundesrat jetzt gefordert, Perspektiven anzubieten und aus den gescheiterten Versuchen auch aus anderen Ländern Lehren zu ziehen.

Wechselnde Messkriterien führen zum ewigen Shutdown
Nach der ersten Welle und mit besserer Datenlage gab der Bundesrat die relevanten Grössen für Erleichterungen und einen Übergang in eine Situation der neue Normalität bekannt:

  • Genügend Intensivpflegeplätze
  • Stabiler R-Wert unter 1 (kein exponentielles Wachstum)
  • Sinkende Zahlen bei den Todesfällen und den positiv Getesteten

Als all diese Richtwerte in sichtbarer Reichweite waren (und zwischenzeitlich erreicht wurden), wurde die Bedeutung des R-Wertes als zu ungenau und zu wenig aussagekräftig relativiert, die entspannte Spitalsituation war kein Thema mehr.

Die ganze Aufmerksamkeit liegt jetzt bei aggressiveren Mutanten wie dem B.1.1.7. Jetzt und zum ersten Mal präventiv gilt es, diese und mit Sicherheit folgenden Mutanten zu eliminieren, bevor über Erleichterungen nachgedacht werden kann. Ein Rezept, das nur zu einem ewigen Shutdown mit dauerndem Maskentragen (mittlerweile sind nur FFP2-Masken wirklich wirksam) führen kann.

Wir befinden uns in den früher als Grippezeit bekannten Monaten, in welchen Erkältungen und grippale Erkrankungen Hochsaison haben. Auch ohne aggressivere Variationen von Corona wäre also eine ansteigende Zahl an Erkrankungen zu erwarten.

Jahreszeit und Durchseuchung als achte und neunte Bundesräte
Der Bundesrat scheint also einfach zu hoffen, dass gegen Frühling und Sommer sich das Virus, wie andere vor ihm, auf dem Rückzug befinden wird, die Impfung und vor allem die bis dahin fortschreitende Durchseuchung in der Bevölkerung unterstützend wirken und er sich so einen Ausstiegsplan ersparen kann. Auch eine Strategie, nur benötigt es dazu eigentlich weder einen Bundesrat, noch besondere Rechte und auch keine Fortführung von willkürlichen Massnahmen.

Sinnvoller wäre es, endlich eine gezielte Teststrategie zu definieren, ein konsequentes Tracing zu finanzieren, die Impfangebote für alle, die sich impfen lassen möchten zu forcieren. Dann könnten sämtliche Massnahmen, die nicht auf Evidenz basieren, beendet werden.


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3 thoughts on “Bundesrat in der anhaltenden Coronakrise: Plan-, ziel- und hoffnungslos

  1. Viel Zustimmung des Artikels bis auf die Zeile «Eine Bedrohung ist das Virus vor allem für Menschen, die über 65 Jahre alt sind und deren Immunsystem zusätzlich noch geschwächt ist…». Bei Menschen, die unter Immunsuppressiva stehen, ist das Alter nicht relevant. Diese sind rein durch die Behandlung akut gefährdet.
    Und noch eine moralische Frage: Wenn das Virus für jüngere Menschen ein kleineres Risiko darstellt, sie aber Träger ohne Symptome sind, keine Schutzmassnahmen mehr bestehen oder diese abgebaut werden, erkläre ich dann meinen Eltern, die über 65 Jahre alt sind «wisst ihr, wir müssen nach vorne schauen, die Jüngeren bestimmen die Welt und wir können nicht alle auf Euch Rücksicht nehmen, sorry, dass ihr zur Risikogruppe gehört.»
    Aus ökonomischer Sicht durchaus berechtigt. Deshalb sehe ich hier eher, dass die Jüngeren (Risikogruppen) bei der Impfung vorzuziehen sind. Plus 80-jährige sind wirtschaftlich nicht unterstützend, die AHV-Sicherung und der wirtschaftliche Fortschritt wird von anderen erbracht.
    Aber eben, ein ethischer Konflikt.

  2. Nein, die moralische Antwort auf die Frage heisst: Wir schützen die besonders gefährdeten Menschen speziell, indem sich deren Umfeld mehr und kontinuierlich testet, sie spezielle Fenster bei Transport und Einkauf bekommen, wo die Ansteckungsgefahr erhöht ist, sie zuerst geimpft werden, um bei einer Ansteckung den Verlauf der Krankheit zu mildern etc.

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